"Der große Kalanag": Simsalabim! Braune Flecken weg!

Simsalabim: ein Klischeezauberspruch, der nach Kinderzimmer klingt. "Simsalabimbambaseladuseladim". Ja, genau daher stammt er. Denn als Helmut Schreiber, der Kaufmannssohn aus einem Städtchen bei Stuttgart, in einem Lazarett für Kriegsverwundete zaubern soll, war er gerade mal 15 Jahre, und das Kinderlied vom Kuckuck, der auf einem Baum saß, hatte ihm die Inspiration gegeben. Und weil der Offizier den Kriegskrüppeln einen geheimnisvollen Nachmittag bescheren wollte, hatte er Helmut einfach als "Kala Nag" angekündigt. Der Offizier liebte Rudyard Kipplings "Dschungelbuch", und der Elefant dort trägt diesen Namen, der "Schwarze Schlange" bedeutet. Das war 1918.
Wie Helmut Schreiber zurückkehrte
Das Kinderlied vom erschossenen Kuckuck endet damit, dass nach einem Jahr der Kuckuck wieder da ist. Helmut Schreiber wurde nicht erschossen, aber bei ihm hat es zwei Jahre gedauert, nach dem das "Tausendjährige Reich" nach 12 Jahren in Schutt und Asche gelegt war. Schreiber ging danach aber nicht in Sack und Asche, sondern drehte jetzt erst Recht groß auf: vom Amateurzauberer des "Dritten Reiches" - mit Einladungen auf den Obersalzberg und zu Herman Göring auf dessen Landsitz Carinhall - zum "Großen Kalanag" tourend mit seiner 80-Personen-Revuetruppe von Rio bis Kanada, von London bis in die Türkei.
Die schillernde Geschichte eines deutschen Biedermanns
Der Autor Malte Herwig hat sich daran gemacht, hell zu beleuchten, was dieser leicht beleibte und stirnglatzige Magier geschickt im Dunkeln gelassen hat, wovon er trickreich ablenkte. Ans Licht kommt die wahre, schillernde Geschichte eines deutschen Biedermanns, der sich bei den Nazi-Brandstiftern andient, liebesdienert und sogar den "Führer" zum Lachen bringt. Der allerdings nach Stalingrad bei einem späteren Auftritt Schreibers anmerkt, wie schön es wäre, wenn der Zauberer auch die russischen Armeen einfach so verschwinden lassen könne.
Roger Moore ließ sich von dem Magier um den Finger wickeln
"Kalanag als Person zeigt, dass die Stunde Null eigentlich die größte Illusion der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Die Menschen waren die Alten. Die Idee, dass alles auf null resettet wird und man neu anfangen kann - das ist letztendlich ein gigantischer Zaubertrick”, sagt Autor Malte Herwig. Und genau das ist das Erschütternde: Nicht nur Ärzte und Juristen haben einfach weiter gemacht, auch Zauberer - und wenn man Helmut Schreiber anschaut, kann man zu Recht vermuten: fast alle, auch wenn es Schreiber besonders geschickt anstellt. Er, der ehemalige Aufnahmeleiter und Vizedirektor der Bavaria Filmstudios, der auch Propagandafilme drehen ließ und das einzige antisemitische Musical "Robert und Bertram", wechselte, als ihm die Amerikaner 1945 auf die Nazi-Schliche kamen, einfach nach Hamburg. Dort wickelte er die Briten um seine Finger und wurde als "unbelastet" eingestuft - alles unter der Aufsicht eines britischen Kulturoffiziers: des jungen Roger Moore, der später als James Bond Filmgeschichte schrieb.
Die frivole Kalanag-Show
In diese Monate des trickreichen Übergangs ist noch eine mysteriöse Geschichte eingewoben. Denn durch seine Freundschaft mit dem persönlichen Adjutanten Hitlers, SS-Offizier Julius Schaub, wusste Schreiber von dem versteckten "Nazigold" und machte sich schon im Herbst 45 bei den Amerikanern wichtig. Und wirklich schaffte er Teile des "Schatzes" aus den Alpenverstecken heran. Dass große Summen nicht mehr auftauchten, könnte damit zusammenhängen, dass ein Herr Schreiber - in einer Zeit, als es kaum was zum Beißen gab - bereits wieder eine extrem aufwändige Revue startete, ohne erklären zu können, woher das ungeheure Grundkapital stammte. Und mit dieser Zauberrevue gelang Schreiber ein Zeitgeist-Coup: die Kalanag-Show war - nachdem er in der NS-Zeit das Zaubern mit Damenunterwäsche als Präsident des Magischen Zirkels des Deutschen Reiches verboten hatte - ironisch und vor allem frivol! Mit seiner Frau als "schönste deutsche Blondine", die bald - ganz emanzipiert - gleichberechtigt auf der Bühne stand. Dass dabei auch noch die "Kalanag-Bar" permanent auf der Bühne sprudelte, bei der man auf Zuruf aus einem "indischen Wasserkrug" in Sekunden den Drink seiner Wahl bekam, war ein umwerfender Erfolg in der Nachkriegszeit - wie auch das blitzartige Verschwinden eines Ford Taunus.
Aufwühlende 420 Seiten
1952 besucht ein 13-jähriger Rosenheimer die Nachmittagsvorstellung im Deutschen Theater München, weil der Pfarrer nur das erlaubt hatte. Abends seien zu viele Busen zu sehen. Es ist Siegfried Fischbacher, der hier sein Initialerlebnis hat, das ihn und Roy Jahrzehnte später nach Las Vegas führen wird. Kalanag (Helmut Schreiber) und seine Frau Gloria de Vos (eigentlich Anneliese Voss) hatten zwar keine weißen Tiger, dafür aber einen Geparden an der Leine, mit dem man auch Essen ging. Am Ende der 420 Seiten ist man aufgekratzt: weil diese wunderbar romanhaft aufgeschriebene, dabei akribisch recherchierte Biografie zu fantastisch erscheint, um wahr zu sein. Und man ist irritiert - vielleicht auch über sich selbst -, weil man mit einem Mann mitgefiebert hat, der - ohne Antisemit zu sein - ein eitler Opportunist und Intrigant gewesen ist, ein intelligenter Jedermann, ein nach außen sogar witziger und charmanter Machtmensch.
Den Mechanismen der deutschen Geschichte näher kommen
Malte Helwig hat die Gefahr erkannt, dass sich der Leser mit Schreiber identifizieren könnte und ihn von der ersten Seite an etwas tendenziös unsympathisch gezeichnet. Auch schenkt er den NS-Verstrickungen Schreibers mehr Aufmerksamkeit als dessen interessanter Entlastungsbehauptung, er hätte einen alliierten Agenten in seinem Jagdhaus versteckt. Wer aber dieses Buch liest, wird nicht nur dem "Großen Kalanag" näher kommen, sondern auch Mechanismen der deutschen Geschichte, die später gerne biografisch weggezaubert wurden. Das allerdings hat fast keiner so virtuos beherrscht wie Helmut Schreiber, der rastlos bis zu seinem körperlichen Zusammenbruch 1963 nicht nur an großen Illusionen arbeitete, sondern auch an seiner eigenen Vita bastelte.
Malte Herwig: "Der große Kalanag - Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt verzauberte" (Penguin, 480 Seiten, Abbildungen, 24 Euro)
ARD, "Verzaubert und verdrängt - die Karriere des Magiers Kalanag" in der Mediathek