Der Bayerische Buchpreis
Wenn in meinen Büchern München vorkommt, beginnt das Unheil", sagt Florian Illies an diesem Abend in der Allerheiligen-Hofkirche. Und beginnt gleich aufzuzählen, wo genau in seinen Büchern "Generation Golf", "1913", "Liebe in Zeiten des Hasses" und "Zauber der Stille" dieses Unheil lauert, das die Besten aus München vertreibt und die, die verharren, zu Büchern mit Titeln wie "Der Untergang des Abendlandes" (Oswald Spengler) inspirierte.
Illies wird an diesem Abend im Rahmen des 10. Bayerischen Buchpreises mit dem Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten ausgezeichnet. Dieser, Markus Söder, fehlt allerdings, überlässt es kurzfristig Staatsminister Florian Herrmann, den Preis in Form eines weißen Porzellanlöwen zu überreichen. Dieser fasst seine Lobesrede selbst zusammen: "Sie bekommen den Preis, weil Sie einfach gut sind", belässt es dann aber doch nicht bei dieser Kurzfassung.
Dass die folgende Rede von Illies die stärkste an diesem unterhaltsamen zweistündigen Literaturabend ist, überrascht wenig. Anscheinend werde dieser Preis nicht für eine "besonders ehrenvolle Rolle Bayerns oder Münchens in den Büchern des Preisträgers" verliehen, beginnt er, um dann wie gesagt die unehrenvolle Rolle Münchens in seinen Büchern zu konkretisieren. Im Falle von Caspar David Friedrich, dessen Leben Illies in seinem neuen Buch nachspürt, sei es so, dass seine berühmten Holzschnitte eigentlich von seinem Bruder stammen: "Das kennt man ja hier in Bayern sehr gut, dass die Druckerzeugnisse der Jugend in Wahrheit immer vom Bruder kommen."
Illies kann witzig sein, aber vor allem klug. "Zum Glück ist die Sache viel komplizierter", ist ein für ihn typischer Satz. Er tauche immer wieder in die "Unübersichtlichkeit der deutschen Geschichte" ein, denn Geschichtsvergessenheit führe geradewegs ins Unheil. "Das Vergangene ist nicht vergangen. Es geht immer um die alten Kränkungen von Menschen und Nationen, es geht um Scham, um die alten Wunden und um alten Wahn." Wie wahr diese Worte sind, können wir alle beobachten. In der Ukraine, in Israel und dem Nahen Osten. Lethe, der Fluss des Vergessens in der griechischen Mythologie, sei der gefährlichste Strom, schließt Illies. "Mit meinen Büchern über die Gegenwart der Vergangenheit versuche ich, Lethe ein klein wenig das Wasser abzugraben."
Was folgt, ist der "USP des Bayerischen Buchpreises", wie Moderatorin Judith Heitkamp vom BR ankündigt: die öffentliche Jury-Verhandlung über die Gewinnerbücher in den Rubriken Sachbuch und Belletristik. Die Jury besteht aus Andreas Platthaus ("FAZ"), Cornelius Pollmer ("SZ") und Marie Schoeß (Bayern 2). Jedes Jurymitglied durfte ein Sachbuch und einen Roman in die Runde bringen, nun wird live diskutiert, wer die Gewinner sind.
Eine Sanduhr taktet die Zeit, für jede Entscheidung bleibt gerade eine halbe Stunde. Entsprechend kurzweilig bleibt die Debatte, vor allem weil die drei gut gelaunt und respektvoll an die Sache herangehen. Es wird gelobt, was an den Vorschlägen der anderen gefällt, ohne die Verteidigung des eigenen Lieblingsbuchs zu vernachlässigen. Es ist sowohl Raum für kritische Fragen als auch für echte Begeisterung. Vorurteilsfrei lassen sie sich auf all diese Bücher ein, stecken mit ihrer Neugier für das Unbekannte an. Immer wieder hallt nach, was Judith Heitkamp ganz zu Beginn sagte: Bücher erlauben es einem, "Perspektiven einzunehmen, die nicht die eigenen sind". Man könnte auch sagen: das Lesen und das Reden über Bücher kann eine Schule der Demokratie und des wertschätzenden Dialogs sein. Das jedenfalls führt diese patente und kompetente Jury eindrucksvoll vor.
Am Ende folgt jeweils die Abstimmung, bei der zunächst jeder beim eigenen Vorschlag bleibt. Also schlägt Platthaus vor, jeder müsse ein Buch wählen, das nicht das eigene sei. Als beim Sachbuch auch das zu keinem Ergebnis führt, rückt er als Juryvorsitzender schließlich vom eigenen Vorschlag ab: Jan Philipp Reemtsma setzt sich also mit seiner Biographie "Christoph Martin Wieland" gegen Karl Schlögels "American Matrix" und Florian Werners "Die Zunge" durch.
In der Belletristik gibt es bereits in der zweiten Abstimmungsrunde einen Gewinner: Deniz Utlus Roman "Vaters Meer", eine Annäherung an die eigene Kindheit und den nach einem Schlaganfall verstummten Vater, konnte die Jury letztendlich mehr überzeugen als Teresa Präauers "Kochen im falschen Jahrhundert" und Stephanie Barts "Erzählung zur Sache". Der Bayern-2-Publikumspreis ging an Caroline Wahls Debüt "22 Bahnen".
Eines ist wieder mal klar nach diesem Abend: Wie viel Literatur sein kann, wie verschieden, wie nachdenklich, wie lustig, wie inspirierend. Und auch, dass es sich lohnt, abseits des Bekannten nach Neuentdeckungen zu suchen.
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