"Der Augensammler" als Graphic Novel: Freaks auf dem Höllentrip

Frank Schmolke hat Sebastian Fitzeks Bestseller-Thriller "Der Augensammler" in eine Graphic Novel übertragen.
von  Christa Sigg
Humphrey Bogarts Marlowe lässt grüßen, wenn sich Ex-Polizist Zorbach auf die Spuren eines Serienkillers begibt.
Humphrey Bogarts Marlowe lässt grüßen, wenn sich Ex-Polizist Zorbach auf die Spuren eines Serienkillers begibt. © Frank Schmolke

Sonnenplätze sind ihm suspekt. Frank Schmolke weiß nur zu gut, dass es immer eine Kehrseite gibt. Lange genug ist der Zeichner und Illustrator in München Taxi gefahren, da lässt man sich nicht mehr blenden - seine Erlebnisse sind zum Beispiel in die Graphic Novel "Nachts im Paradies" eingeflossen, die mit dem AZ-Stern des Jahres ausgezeichnet wurde.

Diesmal kommt es allerdings um einiges härter, denn der 54-Jährige ist im Thriller-Genre gelandet, konkret: im kruden Kosmos des Sebastian Fitzek.

Schmolke zimmert aus Fitzeks "Augensammler" eine sehr eigene Version

Abgesehen von seiner ziemlich freien Adaption der Netflix-Serie "Freaks" hat sich Schmolke diesmal nicht wie bewährt am autobiografisch Inspirierten abgearbeitet, sondern an einem Bestseller. Und das hätte leicht ins Auge gehen können. Fitzek, der einen Band nach dem anderen raushaut und in einer Tour die Verkaufslisten anführt, zählt nicht unbedingt zu den Feinwerkern der Sprachkunst, und die Klischees tanzen Ringelreihen.

Doch der sensible Zeichner hat aus dem "Augensammler" von 2010 eine sehr eigene Version gezimmert. Übrigens mit dem Segen Fitzeks, was wiederum für den Autor spricht, dem manche "Sichtweise sogar besser gefiel als die eigene".

Überraschend ist das nicht. Schmolke kreiert minuziös durchdachte Kulissen, wechselt auf verblüffende Weise die Perspektiven, und damit speist sich der Thrill lange nicht nur aus dem Verbrechen.

Das ist so schaurig wie verquast: Ein Serienmörder geistert durch Berlin, tötet Frauen durch Genickbruch und kidnappt deren Nachwuchs. Werden die Kinder nicht in einer bestimmten Zeit gefunden - am Tatort liegt eine Stoppuhr -, entfernt ihnen der Psychopath ein Auge, um sie auch gleich umzubringen.

Ex-Polizist Zorbach trägt Trench und Borsalino

Der ehemalige Polizist Alexander Zorbach, der seine Brötchen mittlerweile als Boulevardreporter verdient, hat beruflich mit dem Fall zu tun und wird dabei selbst zum Verdächtigen. Zumal er meistens als Erster von einem neuen Mord des sogenannten Augensammlers berichtet hat.

Schöne Schmolke-Zutat übrigens: Zorbach trägt Trench und Borsalino. Man muss natürlich an Humphrey Bogart als Privatdetektiv Marlow denken, und tatsächlich kokettiert der vom Leben gebeutelte Einzelgänger damit, "das Klischee einer Hollywoodfigur" zu sein.

Zorbach bleibt nichts anderes, als sich auf sein altes Hausboot zurückzuziehen. Doch dort erwartet ihn bereits Alina, eine blinde Physiotherapeutin, die durch Berührung in die Vergangenheit eines Menschen blicken kann - und überzeugt davon ist, den Serienkiller in ihrer Praxis behandelt zu haben. Schmolke bleibt hier nah an Fitzek, der bei ihm sogar im Comic auftritt und die eigene Story als grauenhaft kommentiert. Wie wahr.

Freaks sind Schmolkes Spezialität

Wenn Schmolke dann aber seinen Helden Zorbach vom verschneiten Wald aus das verlassene Boot betrachten lässt und auf seine Weise Spannung aufbaut, wird klar, weshalb man diesem Zeichner selbst in Geschichten folgt, um die man sonst einen Bogen machen würde.

Zudem trägt die kuriose Punk-"Seherin" mit ihren starren Pupillen eine Mütze, die an das Schlangenhaar der Medusa erinnert. Auch Fitzek bedient sich in der griechischen Mythologie, auf die Idee mit der Mütze muss man freilich kommen. Doch Freaks sind Schmolkes Spezialität, sie geben diesem platten Plot den optisch gesteigerten Dreh ins Absurde.

Der Reporter und die Hellsichtige werden zum Ermittlergespann mit reizvollem Noir-Touch. Dabei gerät das ungleiche Duo auf einen actionprallen Horrortrip. Und gerade hier zeigt sich die Wirkmacht von Schmolkes Bildern. Denn wie vor allem das Kino immer wieder beweist, müssen Bücher nicht überragend sein, um brillante Adaptionen anzustoßen.


Sebastian Fitzek/Frank Schmolke: "Der Augensammler" (Splitter Verlag, 200 Seiten, 35 Euro)

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