David Schalko über seine TV-Serie: "Kafka war ein sehr sozialer Mensch"

Am 3. Juni vor 100 Jahren starb Franz Kafka im Alter von 40 Jahren. Zu Lebzeiten veröffentlichte er nur wenig. Doch da sein Freund Max Brod Kafkas Bitte, seinen Nachlass zu vernichten, nicht nachkam, wurde aus dem Autor von "Das Schloss" und "Der Prozess" der weltweit bedeutendste Schriftsteller deutscher Sprache. Mit seiner dreibändigen Kafka-Biografie revolutionierte Reiner Stach das lange vorherrschende Kafka-Bild und entflammte das Interesse des Regisseurs David Schalko, eine sechsteilige Serie über Kafkas Leben zu drehen. Man hätte der auf Krimi-Monokultur fixierten ARD diesen mutigen Kraftakt schon gar nicht mehr zugetraut, aber das Wagnis "Kafka" ist ein Ereignis. Denn Schalko, Drehbuchautor Daniel Kehlmann und dem fantastischen Ensemble gelingt eine auch formal anspruchsvolle und gleichzeitig unterhaltsame Serie.
AZ: Herr Schalko, welches neue Kafka-Bild hat Ihnen die dreibändige Biografie von Reiner Stach geliefert?
DAVID SCHALKO: Es gibt ja kaum ein besser dokumentiertes Leben als das von Franz Kafka. Dennoch hat Stach mir Kafka noch einmal auf eine ganz andere Art und Weise nähergebracht, weil er durch seine großartige Biografie mit vielen Klischees aufgeräumt hat. Uns geht es darum. zu zeigen, wie aus einem Leben, das eigentlich gar nicht so aufregend ist, große Literatur wird. Das hat Stach in seinen Biografien sehr anschaulich dargestellt.

Bei Kafka gehen Leben und Werk Hand in Hand?
Ja, seine Verlobte Felice macht ihm beispielsweise den Prozess, weil er sich nicht entscheiden kann, sie zu heiraten. Daraufhin schreibt er "Der Prozess" und kreiert daraus das Szenario, dass ein Mann verhaftet wird, ohne zu wissen warum. Oder: Sein Vater bezeichnet seinen jüdischen Freund Jizchak Löwy als Ungeziefer, worauf Kafka "Die Verwandlung" schreibt, wo sich jemand in ein Ungeziefer verwandelt. Aus dem Urlaub in Spindelmühle entsteht "Das Schloss" - und so ist es fast immer bei ihm.
Die Rechte an Stachs Kafka-Biografie haben Sie schon lange erworben, warum dauerte es viele Jahre bis zur Serie?
Ich habe die Bücher vor zehn Jahren optioniert und war mit Daniel Kehlmann, mit dem ich sehr eng befreundet bin, im Skiurlaub. Ich habe ihm erzählt, dass ich die Kafka-Serie machen will. Er hat gesagt, wenn ich Hilfe bräuchte, solle ich ihn anrufen. Ich habe ihm gesagt, ich schaffe das jetzt mal allein. Dann habe ich zwei Folgen selbst geschrieben, die allerdings auch sehr avantgardistisch gerieten. Das war dann der Moment, als ich Daniel anrief. Daniel hat die Fähigkeit, komplizierte, komplexe Dinge auf sehr unterhaltsame Weise zu schreiben, ohne dass dabei die Tiefe verlorengeht. Daniel hat die besten Drehbücher geschrieben, die ich seit Jahren in Händen hielt. Und Reiner Stach beratend als Partner zu haben war ebenfalls ein Glücksfall auf allen Ebenen.
Stachs dreibändige Biografie umfassen rund 2000 Seiten, wie haben Sie die Struktur für die Serie gefunden?
Wir haben die sechs Folgen immer sehr detailliert gemeinsam konzipiert. Es ist schwierig, aus einer Lebensgeschichte eine Geschichte zu formen. Uns war schnell klar, dass wir nicht aus der Perspektive von Kafka erzählen wollen, das wäre nicht nur anmaßend, sondern auch falsch. Die Idee war daher, dass man sich über unterschiedliche Perspektiven Kafka annähert, woraus sich die Kernthemen ergeben: die Beziehungen zu den Frauen, die zu seiner Familie und zum Judentum, die zu seiner Arbeitswelt und die zu Max Brod, seinem wichtigsten Freund.
Sie haben einen Erzähler aus dem Off, der immer wieder neu ansetzt und sagt, das müsse man eigentlich anders erzählen. Wer erzählt da eigentlich?
Wir wollten die Rolle des Biografen widerspiegeln. Nur ist es bei uns nicht ein Biograf, dem das so erfolgreich gelingt wie Reiner Stach, sondern einer, der immer ein bisschen daran scheitert, Kafka zu erklären. Natürlich hat sich unsere eigene Erzählproblematik so in die Serie hineinmanövriert. Gleichzeitig wollte ich auch, dass der Erzähler ein bisschen so klingt wie Daniel Kehlmann, deswegen habe ich mich dann für Michael Maertens entschieden, weil er der Tonalität sehr nahekommt.

Durch den Erzähler ist auch die Ironie vorgegeben, die große Teile der Serie durchzieht, trotz ernster Thematik.
Man muss Kafka nicht in Schwarzweiß zeigen als einsamen Außenseiter, der keine Freunde hat - außer Max Brod vielleicht. Das stimmt ja auch nicht. Kafka war ein sehr sozialer Mensch, er wurde bewundert von vielen Autoren wie Rilke, Werfel, Musil oder Tucholsky. Kafkas Humor ist ein verschrobener, absurder Humor, der aber nie bösartig ist. Es war uns wichtig, Kafkas Humor zu zeigen und nicht nur eine tragische Geschichte aus seinem Leben zu machen.
Wenn man den allwissenden Stach nicht im Nacken aber an der Seite sitzen hat, lähmt das nicht auch die Freiheit?
Diese Art der Einschränkung gibt einem im Gegenteil sehr viel Freiheit, weil man klar weiß, was man erzählen muss. Es gibt beispielsweise einen Streit zwischen Max Brod und Franz Kafka, als sie einen Selbstmörder sehen, der ins Wasser springt und beide darauf sehr unterschiedlich reagieren. Das war ursprünglich so geschrieben, dass Kafka da ein bisschen lauter wird und in die Offensive geht. Rainer Stach hat uns dann gesagt, es sei total unrealistisch, dass ein so konfliktscheuer Mensch wie Kafka, Brod so angehen würde. Also haben wir Kafkas Ton gemildert. Die Szene selbst ist verbrieft, sie steht in den Tagebüchern. Wir haben überhaupt nur Szenen verwandt, die verbürgt sind.
Ihr Kafka spricht zwar mit vielen Texten aus den Werken, wirkt aber nie künstlich.
Er sagt fast ausschließlich Sätze, die er in Werken, Briefen oder Tagebüchern geschrieben hat. Denn die Literatur stand bei uns im Vordergrund und der Versuch, sie mit seinem Leben zu verbinden. Ich glaube dadurch, dass die Serie ästhetisch in einer leicht entrückten Welt spielt und fast nichts naturalistisch ist, nimmt man diese Sprache so an. Und natürlich hat das auch mit dem Schauspiel von Joel Basman zu tun, der die Sprache so verinnerlicht hat, dass man wirklich das Gefühl hat, die Sätze kommen in diesem Moment aus ihm heraus. Im Übrigen wissen wir sowieso nicht, wie Kafka geklungen hat oder wie literarisch er gesprochen hat. Das ist alles nicht überliefert.

Dass Sie Ihre Wunderwaffe Nicholas Ofczarek mit ins Boot nehmen und als Kafkas Vater besetzen, war Ihnen wahrscheinlich sehr früh klar?
Das war dem Niki noch früher klar als mir, er hat mir eine SMS geschrieben, dass er Zeit hätte, bevor ich ihn gefragt hatte. Er hat natürlich gewusst, dass ich ihn sowieso fragen würde und ich war sehr froh, dass er es machen wollte. Niki hat von Anfang an gewusst, dass er den Vater nicht als grölenden Choleriker darstellen würde, der Vater hatte schließlich auch seine Not: nämlich die, nicht an den Sohn heranzukommen. Kafka löst sich aus dem Generationenvertrag, will das Geschäft des Vaters nicht übernehmen. Niki stellte sich sinngemäß die Frage, was wäre im Umkehrschluss zu Kafkas Brief an den Vater dessen Brief an den Sohn gewesen.
Wie lange haben Sie einen Kafka gesucht, bis Sie auf Joel Basman kamen?
Joel kam sehr spät ins Spiel. Ich habe mir wirklich jahrelang Gedanken darüber gemacht, wer Kafka spielen soll. Dann tauchte sein Name plötzlich innerhalb einer Woche von mehreren Seiten auf. Ein gutes Zeichen. Ich kannte ihn auch, weil er schon bei "Ich und die Anderen" spielte. Es gibt eine physiognomische Ähnlichkeit, die wirklich bestechend ist. Aber auch in seinem Inneren kann man Kafka schnell finden. Wir haben nie ein Casting gemacht, es gab auch nie eine Alternative. Die Rolle ist wie für ihn gemacht. Genau wie der Vater für Niki gemacht ist.

Die Folge "Bureau" ist weniger der Alptraum der Bürokratie, sondern besonders lustig. Kafka ist auch gar nicht Opfer des Büros sondern Profiteur. Ist das nur Ihre Sichtweise?
Nein, das entspricht der Wahrheit. Wir haben unsere Bürokomödie zwar ein bisschen überzeichnet, aber Kafka war wirklich umgeben von literarisch tätigen Menschen, die ihn bewundert haben, die ihm wahnsinnig viel Freiheit und Freizeit zum Schreiben zugestanden haben. Und die ihm ständig etwas von sich zu lesen gaben. Er wurde auch befördert, war sehr gut in seinem Beruf. Man hat das Gefühl, dass er sich in seinen Texten über eine Situation beschwert, die es so nie gegeben hat, oder die in seinem Kopf viel problematischer war als in der Realität.
Die Folge, "Milena", fällt ästhetisch völlig aus der Reihe: eine Art Kammerspiel im Freien. Ist Ihnen nach den Studiobauten das Budget knapp geworden?
Nein, mit fehlendem Budget hat das nichts zu tun. Die Idee war, anhand von einem nachmittäglichen Spaziergang durch den Wienerwald, der quasi in Echtzeit stattfindet, den Bogen einer gesamten Beziehung zu erzählen. Das war natürlich eine riesige Herausforderung für Daniel, aber es hat sich gelohnt.

Jede einzelne ARD-Anstalt ist beteiligt plus der ORF. Da stellt man sich Redaktionssitzungen als kafkaeskes Erlebnis vor.
Ich weiß, das klingt im ersten Moment schrecklich und natürlich gibt es bei so vielen Redakteuren auch viele Meinungen, aber es war dann ganz erstaunlich harmonisch. Es war allen klar, dass man Kafka auch in der Form gerecht werden muss. Wir haben nie darüber diskutiert, dass wir ein linear erzähltes, klassisches Biopic machen würden. Und trotz aller Spielereien mit dem Format bleibt die Serie unterhaltsam.
Ab sofort in der Mediathek, am 26. und 27. März je drei Folgen in der ARD ab 20.15 Uhr