"Das glückliche Geheimnis": Aufregend wie Altpapier

Der Umschlag des neuen Buchs von Arno Geiger ist in heiterem Orange gehalten, ja, es verspricht regelrecht eine sommerliche Lektüre zu werden, mit der Rückenansicht eines Mannes (Geiger selbst?) im dunklen T-Shirt, der einen breitkrempigen Hut trägt, und einem Titel, der dem Leser ebenfalls leicht den Rücken zukehrt, dabei Spannung und tolle Enthüllungen verheißt und sogar positiv gestimmt ist.
"Das glückliche Geheimnis", welches der österreichische Schriftsteller gleich zu Beginn des Buchs schon verrät, entpuppt sich jedoch als harmlos, wenn nicht enttäuschend: Über 25 Jahre hinweg hat Geiger morgens Touren, oder, wie er es nennt "Runden", durch Wien gemacht, um die Altpapiertonnen der Stadt nach weggeworfenem, zum Teil höchst privatem Material – alten Büchern, Tagebüchern, Postkarten – zu durchwühlen und seine Funde im besten Falle hochpreisig zu verkaufen.
Auf Schatzsuche in Altpapiertonnen
Von einem "dunklen" Geheimnis möchte er da auch gar nicht sprechen, das unterscheidet Geiger gleich im ersten Satz von dem "glücklichen", um das es geht, aber dem Gedanken, dass sich hier jemand heimlich über Dekaden hinweg dem buchstäblichen Bodensatz der Gesellschaft hingab, was es vor der Familie, Freunden, Freundinnen und Bekannten allerpeinlichst zu verbergen galt, möchte man doch nicht ganz folgen.
Ja, mein Gott, der renommierte Autor, der 2005 für "Es geht uns gut" mit dem frisch aus der Taufe gehobenen Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde und dann Bestseller wie "Der alte König in seinem Exil" (2011) schrieb, stieg also mehr oder minder regelmäßig in aller Frühe aufs Rad, um kopfüber in Altpapiertonnen, mitunter im Dreck und Schmutz, auf Schatzsuche zu gehen.
Dass ihm dieses Hobby gerade in jungen Jahren beträchtliche Verkaufserträge einbrachte, so dass er sich ganz seinen ersten literarischen Gehversuchen widmen konnte, gönnt man Geiger natürlich und kann sich schon vorstellen, dass ihn das Lesen von Tagebüchern oder Krankenhausprotokollen in der Ausbildung seines Schreibstils beeinflusste. "Meine künstlerische Entwicklung wurde nicht nur von Weltliteratur vorangetrieben, sondern ganz wesentlich auch von Abfall, von Hingeschmiertem und Verworfenem", stellt der Autor fest und wollte schon früh ein "Künstler des Ungekünstelten" werden.
Umso mehr fällt beim Lesen dieses Buches auf, dass Geiger sich im Rückblick auf seine eigene Entwicklung zum Schriftsteller in Sätze und Bilder hineinwindet, die eher gekünstelt und leider ziemlich selbstgefällig wirken. Wenn jemand sein Scheitern als junger Autor nachzeichnet, aus der Sicherheit heraus, heute ein Erfolgsautor zu sein, dann wirkt das nun mal nicht mutig, sondern ziemlich eitel.
Da spricht Geiger zum Beispiel vom "plötzlichen Buchtod" seines Frühwerks "Schöne Freunde", das aber laut Rezension des "bedeutendsten" österreichischen Literaturkritikers seiner Zeit weit voraus war und seinem Schöpfer noch heute Lebenszeichen sendet. "Nur manchmal, wenn ich mich dem Bücherregal nähere, höre ich 'Schöne Freunde' leise atmen, leicht und leise, wie ein Siebenschläfer im Winter."
"Als Schriftsteller ist man bei den wenigsten Frauen von vorneherein chancenlos"
Da ist ein Schriftsteller in seine Bücher, auch in die gescheiterten, verliebt und gibt ihnen nachträglich Bedeutung. Seiner eigenen Attraktivität kann Geiger sich zudem gewiss sein: "Als Schriftsteller ist man bei den wenigsten Frauen von vorneherein chancenlos, das ist einer der Vorteile des Berufs." Solche Aussagen mögen der vom Autor postulierten "Aufrichtigkeit", die er gerade in diesem Buch vehement verfolgt, durchaus entsprechen, und die Literatur lebt sicherlich immer wieder von den amourösen Verwicklungen, die erfundene wie reale Lebenswege bieten.
Die Selbstdarstellung als Frauenheld wirkt aber nun mal abgeschmackt: "Als ich im Herbst eingeklemmt war zwischen mehreren Frauen, bekam ich vom Nervenstress Hautausschlag", berichtet Geiger und man hat so gar kein Mitleid mit ihm.
Der Dreiecksgeschichte, die sich zwischen ihm, seiner Freundin K. und der mexikanischen Geliebten O. entwickelte, folgt man durchaus mit Interesse und empfindet so etwas wie poetische Gerechtigkeit, wenn Geiger herausfindet, dass auch K. einige Affären pflegt. Die beiden halten ihre Beziehung für einige Zeit offen, durchleben große Krisen, aber sind offenbar heute glücklich liiert. Das ganze Buch liest sich nun wie eine Liebeserklärung an die Langzeitpartnerin K. Aber interessiert uns das wirklich?
Erzählte Geiger etwa in "Der alte König in seinem Exil" mitreißend empathisch von seinem Vater und dem Umgang mit dessen Demenz, so wird man bei "Das glückliche Geheimnis" trotz einiger interessanter poetologischer Betrachtungen, sprachlich fein eingefangener Alltagsbeobachtungen und hübscher philosophischer Exkurse das unangenehme Gefühl einer Nabelschau nicht los.
"Heute ist es in mancher Hinsicht hip, sich nach Weggeworfenem zu strecken"
"Ginge, was ich schreibe, nur mich etwas an, bestünde der Fehler nicht in der Offenheit, sondern in meiner schriftstellerischen Unfähigkeit, dem Persönlichen grundsätzliche Bedeutung zu geben. Dieser Vorwurf hätte Gewicht." Genau diesen Vorwurf möchte man Geiger bei diesem Buch machen. Ihm scheint auch bewusst zu sein, dass ihm gerade dieses autobiographische Projekt negative, verletzende Reaktionen einbringen kann. Der Schriftsteller, der den Erfolg genauso wie die Niederlage kennt und die Öffentlichkeit eigentlich eher scheut, ist diesbezüglich längst gestählt. Und weiß eigentlich auch, dass das Kramen im Altpapier heute keine Unternehmung ist, die man schamhaft verheimlichen muss. Ganz im Gegenteil: "Heute ist es in mancher Hinsicht hip, sich nach Weggeworfenem zu strecken."
Und dennoch unterlaufen Geiger immer wieder Sätze, in denen er sich selbst auf ein Podest hebt. Nein, nein, auch wenn er nach dem letzten Ausflug mit gebrochener Rippe am Schreibtisch saß – seine Runden würde er nicht aufhören: "Offenbar bin ich doch nicht dazu geschaffen, je den Mut zu verlieren, meine Beharrlichkeit ist wie eine Krankheit, eine Form des Wahnsinns, ein produktiver Wahnsinn." Was für ein Held. Und nicht nur das: Was andere wegwerfen, verwandelt Geiger in Kunst!
So viel Selbstbewusstsein ist schon beachtlich. Und einige Geiger-Fans werden dieses Buch vermutlich mögen. Für all jene aber, die sich vom orangenen Umschlag und dem verheißungsvollen Klappentext getäuscht sehen, gibt es eine Möglichkeit, sich adäquat zu revanchieren: Geiger erzählt selbst davon, wie er einmal eine durchgelesene Ausgabe seines Bucherfolgs "Es geht uns gut" im Altpapier fand. Ein ähnliches Schicksal kann man seinem neuen Werk nach einer kleinen Radltour ganz leicht bescheren.
Arno Geiger: "Das glückliche Geheimnis" (Carl Hanser Verlag, 240 Seiten, 25 Euro). Am 2. Februar, 19 Uhr, liest der Autor aus seinem Buch im Literaturhaus, Karten: www.literaturhaus-muenchen.de