Kritik

Das Buch "Jeder ist wer" von Josef Brustmann

Der Autor und Musiker hat eine poetische Refexion über Herkunft geschrieben
von  Adrian Prechel
Josef Brustmann.
Josef Brustmann. © Thomas Dashuber

Literarische Familienaufstellungen und Autobiografien sind eigentlich die Pest des Buchmarktes. Man fragt sich meist, warum jemand seine privaten Geschichten so wichtig nimmt, dass er meint, sie allen mitteilen zu müssen. Josef Brustmanns "Jeder ist wer" ist da eine wunderschöne, berührende Ausnahme.

Das beginnt damit, dass die Geschichte der Brustmanns eine deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ist, von Vertreibung erzählt - und von der neuen Heimat in Bayern. Und weil es sich hier um einen Un-Ort südlich von München handelt, wo Brustmann aufwuchs, ist die Geschichte doppelt interessant: Föhrenwald war ein Zwangsarbeiterlager der NS-Rüstungsindustrie, das nach 1945 zum größten Lager für sogenannte Displaced Persons wurde - und so zu einer der größten jüdischen Gemeinden von Holocaustüberlebenden. Nach der Räumung wurde Föhrenwald dann beruhigend nach einem Mönch in Waldram umbenannt.

Bei allem Ernst vor allem reflektierende Leichtigkeit

Aber immer schimmert noch die deutsche Schuld durch die Wälder der Umgebung. Die Antwort darauf: Das große Schweigen - auch in der Familie Brustmann. Was Sohn Josef deshalb so irrwitzig findet, weil die Eltern - vertrieben von ihrem Bauernhof in Mähren - mit ihm und seinen sechs Geschwistern in einem der Siederhäuschen auf dem noch so jungen und grausam-geschichtlichen Boden lebten.

Und wenn man der großen Sensibilität und der Schule des Sehens von Brustmann folgt, stellt sich auch die Frage: Kann der Boden, kann Erde, können Gebäude Geschichtsträger sein, die unser Unbewusstes ansprechen?

Wer jetzt einen bleischweren Vergangenheitswälzer erwartet, bekommt das Gegenteil: Nicht nur, weil "Jeder ist wer" nur 140 Seiten hat. Vor allem wirft Brustmann seine Figuren in wunderbar kleinen Skizzen hin - in der sprachlichen Kunst einer witzigen, warmherzigen Überzeichnung. Und es ist diese Warmherzigkeit, die einen ansteckt - auch zum Nachdenken, wie viel man eigentlich selbst von seiner Herkunft, familiärer Ent- oder Verwurzelung weiß?

So befragt man also zwischen Essays, Betrachtungen, kleinen Gedichten, vielen erhellenden Anekdoten und Fotos ganz nebenher auch noch sein eigenes Herkommen.

Halt haben der Familie Brustmann mit ihren vier Töchtern und drei Söhnen "Kirchen- und Dorfgefolgsamkeit" und Zusammenhalt gegeben. Und witzig fragt man sich, ob nicht genau die Körper- und Lustfeindlichkeit der hier katholisch geprägten 50er-Jahre luststeigernd war, und das karge Leben auch die Lust am Musizieren geweckt und gesteigert hat? Denn nicht nur Josef Brustmann ist in dieser Familie vor allem Musiker - vielsaitiger Volksmusiker und Dichter, zum Beispiel als Gründungsmitglied des Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinns.

"In meiner Familie wurde immer gesungen, fast mehr gesungen haben wir miteinander als gesprochen", schreibt er und erzählt gleich eine lustige Sternsingeranekdote. Denn er und sein zwei älteren Brüder waren "Glückskinder" und als Volksmusiker "maximal integriert", auch wenn Josef die "Moll-Akkorde, das Melancholische, Politisch-Aktuelle, das Wagnis, das Experiment" abging, was er selbst aber bald alles musikalisch ergänzen wird.

Bei der Frage "Wohin?" des jungen Manns wird der anarchische Achternbusch kurzzeitig zur Leitfigur. Trotzdem hat sich Brustmann immer zwischen allen Stühlen gefühlt, nicht als "Dasiger", wie ein "echter" Bayer sagt.

Beim Lesen fragt man sich, ob über allem auch Nostalgie liegt? Ja und nein. Denn Brustmann ist viel zu offen, um Enge zu verklären, zu aufgeklärt, um Verdrängung zu akzeptieren. Aber natürlich liegt über dem Jungsein in den Auwäldern das - von Willy Michl später - besungene Isarflimmern, herrscht im noch nicht gentrifizierten München auch ein Zauber.

Gibt es das (noch): Das glückliche Armsein?

Brustmann scheint eine Art Verpflichtung gegenüber der Geschichte seiner Vorfahren zu empfinden. Es soll etwas von ihrem Denken, Meinen und Fühlen bewahrt werden - und auch von seinem eigenen. Es ist aber kein Anschreiben gegen Verluste oder Verlorenes. Denn Brustmann selbst, 1954 geboren, ist von Anfang an bayerisch und später rebellisch: von den Ostermärschen bis Wackersdorf.

Die Brustmanns waren arm, aber glücklich "Aber das ,glückliche Armsein' ist gänzlich aus der Mode gekommen." Brustmann führt das darauf zurück, dass Armut mittlerweile zum Makel und jeglicher Arbeiter-Klassenstolz kaputtgemacht worden ist.

Das poetische Buch "Jeder ist wer" ist dabei keine Zeile kitschig, keine Zeile langweilig. Und irgendwie war schon die Großelterngeneration durchsetzt von wilden Hunden, Trunksucht, Tragik, sogar - damals noch ungewöhnlich - Scheidung und Sehnsucht nach Entgrenzung. "Ob man will oder nicht, insgeheim trägt man sie alle mit sich herum".

Josef Brustmann: "Jeder ist wer" (Allitera, 144 Seiten, 20 Euro). Am 8. März, 20 Uhr, liest der Autor in der Stadtbibliothek Neuhausen am Rotkreuzplatz bei freiem Eintritt

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