Interview

Craig Brown über sein neues Buch: "Die Liebe zu den Beatles hat etwas Quasi-Religiöses"

Craig Brown hat den Tausenden von Büchern über die Beatles ein kluges, unterhaltsames und vor allem originelles Werk hinzugefügt: "One Two Three Four".
von  Dominik Petzold
Die Fabulous Four mit berühmten Besuch am 11. November 1963, London: Marlene Dietrich trifft die Beatles bei ihren Proben für die Royal Command Variety Performance im Prince of Wales Theatre, wo die Queen Mom sie erwartete.
Die Fabulous Four mit berühmten Besuch am 11. November 1963, London: Marlene Dietrich trifft die Beatles bei ihren Proben für die Royal Command Variety Performance im Prince of Wales Theatre, wo die Queen Mom sie erwartete. © Keystone Press Agency/ Imago

Ja, man kann noch aus vielen, neuen, oft ungewöhnlichen Perspektiven auf das Phänomen der Fab Four blicken: Craig Brown erzählt episodenartig von der Band, aber auch von ihrem Umfeld, ihren Fans und Rivalen, blickt auf ihre gigantische Wirkung auf die Welt und ihre nicht enden wollende Nachwirkung. Dafür hat Brown den Baillie Gifford Prize erhalten und viel begeistertes Lob von Kritikern oder prominenten Kollegen wie Julian Barnes.

AZ: Mister Brown, Sie haben zur Vorbereitung Hunderte Bücher über die Beatles gelesen. Wird das nicht irgendwann etwas viel?
CRAIG BROWN: Zuvor habe ich ein Buch über Prinzessin Margaret geschrieben. Die ganzen Bücher über die königliche Familie zu lesen - das fand ich ganz schön fad. Aber kein einziges Buch über die Beatles hat mich gelangweilt. Für mich wurden sie nur immer faszinierender: als Charaktere und hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Welt. Und dann ist da natürlich die Musik: Man kann immer wieder etwas Neues darin entdecken.

Craig Brown: "Ruhm hat eine Wirkung auf das Aussehen von Menschen"

Wie hat sich Ihr Blick auf die Beatles verändert?
Ich war sehr jung, als ich Fan wurde. Damals erschienen mir die Beatles alt, wie richtige Erwachsene eben. Jetzt bin ich 64 - und mir wurde bewusst, wie jung sie während ihrer ganzen Bandkarriere waren. Und deshalb bin ich auch viel nachsichtiger geworden mit Blick auf ihre Fehler.

Welche Fehler meinen Sie denn?
Wie sie auf bestimmte Leute hereingefallen sind: auf Magic Alex, zu einem gewissen Grad auf den Maharishi, am Ende auf Allen Klein. Und wie sie sich am Ende überwarfen.

Autor Craig Brown erzählt die Geschichte der Beatles in 150 Anekdoten.
Autor Craig Brown erzählt die Geschichte der Beatles in 150 Anekdoten. © Verlag C.H. Beck

Da waren die Beatles gerade mal Mitte bis Ende zwanzig. Sie schreiben zurecht, dass sie in diesen wenigen Jahren äußerlich stark gealtert sind.
Ruhm hat eine Wirkung auf das Aussehen von Menschen. Das kann man etwa an Prinzessin Diana sehen. Als sie sich mit Prinz Charles verlobte, war sie unscheinbar, nicht unbedingt schön. Aber der Ruhm hat sie verändert - sie wurde eine schöne Frau. Bei den Beatles war es so, dass sie unter starkem Druck standen: Alle sahen sie als Anführer. Doch so ist auch ihr Talent, sind ihre Fähigkeiten immer stärker aufgeblüht. Sie hatten eine große Wirkung auf die Welt - aber auch umgekehrt. Anfangs waren ihre Songs einfach, aber innerhalb von zwei, drei Jahren wurden sie sehr komplex und interessant.

Brown über die "freundschaftliche Rivalität" zwischen Lennon und McCartney

Produzent George Martin hatte sie nicht unter Vertrag genommen, weil er ihre Musik so toll fand, sondern wegen ihrer Persönlichkeiten.
Interessant, oder? Er fand sie als Gruppe okay, aber was ihm wirklich gefiel, war ihre Schlagfertigkeit. Ihr Manager Brian Epstein war am Anfang sogar entsetzt von ihrer Musik, aber er erkannte ihre Energie.

Es muss für die beiden eine schöne Überraschung gewesen sein, als sich diese schlagfertigen, energiereichen jungen Männer auch noch als Genies entpuppten.
Ja, aber sie wussten es natürlich selbst lange nicht. Paul hat zwischenzeitlich sogar die Beatles aufgegeben, um in einer Firma zu arbeiten. Wenn sie nach den ersten Singles verschwunden wären, würde man sie heute auf einer Stufe mit den "Searchers" oder so sehen. Aber anders als die meisten anderen Gruppen entwickelten sie sich immer weiter, und ihr Genie kam zum Vorschein. Ein Grund dafür war sicherlich die freundschaftliche Rivalität zwischen John und Paul. Und ihre sehr unterschiedlichen Charaktere fügten sich bestens zusammen.

"Die Beatles stehen inzwischen über der königlichen Familie"

Sie haben die kleinen Häuser in Liverpool besucht, in denen die beiden aufgewachsen sind. Diese werden heute vom "National Trust" verwaltet, wie auch viele bedeutende Schlösser. Wie war's?
Ich habe mir Notizen gemacht, und da unterbrach der Guide die Führung und sagte: "Was machen Sie da? Sie können keine Notizen machen!" Wir gerieten in Streit und ich ärgerte mich so sehr, dass ich danach so krakelig schrieb, dass ich die Notizen später gar nicht mehr lesen konnte. In Windsor Castle darf man Notizen machen, sogar Fotos. Aber die Beatles stehen inzwischen über der königlichen Familie.

Sie amüsieren sich in "One Two Three Four: Die fabelhaften Jahre der Beatles" darüber, dass sich Beatles-Experten über manche Details streiten "wie frühe Christen". Sehen sie weitere Parallelen zwischen den beiden Religionen?
Relikte der Beatles werden zu immensen Preisen verkauft. Paul McCartneys Unterschrift ist die wertvollste der Welt - obwohl er noch lebt und Autogramme gibt. Diese fanatische Liebe zu den Beatles hat etwas Quasi-Religiöses.

Brian Epstein und die Beatles: "Er machte aus ihnen eine verkäufliche Ware"

Ihr Buch beginnt und endet nicht mit den Beatles, sondern mit Manager Brian Epstein, der 1967 an einer Überdosis Schlaftabletten starb. Wieso?
Ein faszinierender Charakter! Er war total organisiert, aber auch wild, er nahm viele Drogen und war sehr neurotisch. Als er die Treppen zum Cavern Club herunterschritt, begann der Erfolg der Beatles. Davor haben sie auf der Bühne gerauft oder mit dem Rücken zum Publikum gespielt. Er machte aus ihnen eine verkäufliche Ware, er war essenziell für sie. Aber er konnte mit dem Ruhm, dem Reichtum und dem Druck nicht umgehen - anders als die vier Beatles.

Durch deren Erfolg veränderte sich die Musikbranche über Nacht. Sie schildern, welche Katastrophe das für die etablierten Stars war.
Als die Beatles auftauchten, waren sie plötzlich Leute von gestern, egal ob Elvis, Frank Sinatra oder Cliff Richard. Der ist derselbe Jahrgang wie John Lennon, war schon erfolgreich, als die Beatles noch in Hamburg spielten. Und plötzlich war er eben nicht mehr angesagt, sondern nur noch dieser Samstagabend-TV-Sänger, und alle standen auf die Beatles. Cliff Richard ist ausgeglichen, aber wenn jemand die Beatles erwähnt, wird er kratzig und sagt so etwas wie: "Ich hatte mehr Nummer-eins-Hits!" Ich finde es viel interessanter, über Misserfolg zu schreiben als über Erfolg. Und Cliff Richard war zumindest nach seinen eigenen Maßstäben nicht erfolgreich, weil er nicht so erfolgreich war wie die Beatles.

"Paul McCartney hat ein unfassbares Talent für Melodien"

Schön ist auch die Szene, als Marlene Dietrich Ende 1963 in derselben Show wie die Beatles auftritt: Die Fotografen interessieren sich nur für die Beatles, aber sie drängt sich ständig aufs Bild.
Ja, mein Buch ist vermutlich das erste Buch über die Beatles, in dem Marlene Dietrich vorkommt.

In den Sechzigern hatte jeder so seinen Lieblings-Beatle, wie Sie schreiben. Wer ist Ihr Favorit?
Paul McCartney war für mich die treibende Kraft: Er trieb die Band voran, als Brian Epstein gestorben war, das konnte man zuletzt in dem Film "Get Back" sehen. Und er hat ein unfassbares Talent für Melodien. Aber ohne John wäre er nicht so gut gewesen - und ihr Harmoniegesang war unglaublich, vor allem auf den frühen Platten.

Nicht versetzt: So begegneten sich Paul McCartney und George Harrison

Gut, dass die beiden sich über den Weg gelaufen sind. Sie schreiben auch über viele weitere Zufälle, ohne die es die Beatles nicht gegeben hätte. Welche haben sie besonders fasziniert?
Paul scheiterte mit 15 Jahren ganz knapp bei einem Latein-Test. So konnte er nicht aufrücken - und traf deshalb George Harrison. Ein anderes Beispiel: Wäre John Lennons Mutter nicht ums Leben gekommen, wäre er wohl ein einfacherer Charakter gewesen - aber wohl auch nicht so kreativ. Oder denken Sie an die Geschichte, wieso Pauls Eltern überhaupt ein Paar geworden sind.

Erzählen Sie...
Die beiden kannten sich flüchtig, aber als Liverpool schwer bombardiert wurde, mussten sie eine Nacht lang im selben Haus bleiben. Da begann ihre Romanze. Hätte Hitler in dieser Nacht nicht Liverpool bombardieren lassen, wäre Paul McCartney wohl nicht zur Welt gekommen.


Craig Brown: "One Two Three Four: Die fabelhaften Jahre der Beatles" (C.H. Beck, 670 Seiten, mit 55 Abbildungen, 29,95 Euro)

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