Comic über Karlheinz Stockhausen: Der Mann vom andern Stern

"So was Beknacktes!" Kinder können gnadenlos ehrlich sein. Aber von Louis Armstrongs "What a Wonderful World” zu Karlheinz Stockhausens "Gesang der Jünglinge" ist es auch ein beachtlicher Sprung. Auf der anderen Seite haben Kinder ihre Schubladen noch nicht gefüllt, da gibt es Platz – selbst für Beknacktes. Oder Schräges.
Biografische Inhalte werden zu einer Superhelden-Geschichte
Neben den "Bayern 3 Top Ten-Hits der Woche" ist der zwölfjährige Thomas von Steinaecker allerdings so angefixt, dass er die Stockhausen-Platte vom Vater wieder und wieder auflegt. Bald rotiert der Wurm im Ohr, und damit beginnt eine kuriose Freundschaft, die der mittlerweile 45-jährige Autor und Regisseur des jüngsten Filmporträts über Werner Herzog in einen Comic gepackt hat.

Fast zwei Dekaden war Steinaecker mit dem Komponisten und Pionier der E-Musik "eng befreundet", vom ersten Brief, den er ihm als Sechstklässler im Sommer 1989 schreibt, bis zum Tod seines Heroen im Dezember 2007. Stockhausen dürfte überrascht gewesen sein, dass sich da ein Bub aus dem oberpfälzischen Oberviechtach an ihn wendet - und wahrscheinlich noch mehr geschmeichelt. Jedenfalls entwickelt sich ein reger Austausch, der nun in einer Mischung aus biografischen Fetzen und wilden Assoziationen in eine Superhelden-Geschichte mündet.
Dem Illustrator gelingt eine adäquate bildliche Umsetzung der Erlebnisse
Das ist nicht ganz abwegig. Wer den "Gesang der Jünglinge" hört, sitzt in Gedanken schnell auf der USS Enterprise. Manches klingt nach Beamen oder dem Sound sich öffnender Türen. Stockhausens "Platten waren wie Tickets zu einem fremden Planeten", schreibt Steinaecker, "auf ihm wohnten nicht Alf oder Mr. Spock, sondern ein Mann. Er hieß Karlheinz". Und Stockhausen bezeichnete sich ja selbst als "Der Mann, der vom Sirius kam". Das ist in herrliche Zeichnungen übertragen. Steinaecker hat in David von Bassewitz den idealen Partner an seiner Seite, der die Nabelschau des frühschlauen Neuton-Exegeten mit feinem Humor anreichert.

Der Illustrator findet immer zu einer adäquaten Bildsprache, in der Umsetzung von Klängen und gerade auch im Rückblick auf Stockhausens Kindheit und die Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg: Die psychisch kranke Mutter wird 1941 in der Tötungsanstalt Hadamar vergast, der tyrannische Vater bleibt im Feld, und der Junge selbst muss im Frontlazarett Opfer von Phosphorbomben betreuen, deren Köpfe "wie Kugeln aus Schaumgummi" aussehen. Da ist er 16.
Karlheinz Stockhausen schaffte es bis ganz nach oben
Stockhausen wird diese Bilder nie mehr los, weder das Blut noch das Rot, und muss vielleicht auch deshalb völlig neu beginnen. So radikal neu, dass sein Publikum nur noch verstört reagiert und die Musiker zwischen Angst und Aggression schwanken. Derart drastisch kann man das nur im Comic zeigen. Doch Stockhausen ist besessen von seiner Musik, auch von sich, er vergleicht sich mit Einstein und Heisenberg. Und man weiß es ja, der Mann, der im Krieg alles verloren hat, schafft es an die Spitze.
Die Beatles ziehen den Hut und mischen ihn auf ihrem "Sgt. Pepper's"-Album unter die Weltpromis zwischen Mae West und C. G. Jung. Und Miles Davis fordert: "Vergesst Beethoven, Ihr habt Stockhausen".
Das ist der Gipfel für einen, der sich als Student mit dem Jazz über Wasser hielt, aber mit der Popmusik nichts anfangen kann. Insofern unterscheidet sich dieser Karlheinz-Superman-Comic wohltuend von den bierernst beweihräuchernden Heldenepen der Musikgeschichte.
Thomas von Steinaecker, David von Bassewitz: "Stockhausen. Der Mann, der vom Sirius kam" (Carlsen, Hamburg, 392 Seiten, 44 Euro). Lesung mit Steinaecker und Bassewitz am 1. Dezember, 19 Uhr, im Literaturhaus