C. Bernd Suchers Buch "Unsichere Heimat"

Der Münchner Autor und Theaterexperte hat ein Buch über jüdisches Leben in Deutschland geschrieben.
von  Anne Fritsch
Der Münchner Theaterexperte C. Bernd Sucher.
Der Münchner Theaterexperte C. Bernd Sucher. © Thomas Dashuber

Als jüdischer Mensch in Deutschland zu leben, war nie einfach. Das ist vielleicht der kleinste gemeinsamer Nenner aller jüdischen Menschen in Deutschland. Aber wie sieht ihr Leben in diesem Land aus? Wer waren die, die nach der Shoah gegen alle Widerstände von innen und außen beschlossen, ausgerechnet in diesem Land ein neues jüdisches Leben aufzubauen? Wo hat das funktioniert? Wo nicht? Und wo stehen wir alle jetzt?

Der Theaterexperte und Autor C. Bernd Sucher hat ein Buch geschrieben, dass sich mit jüdischem Leben in diesem Land seit 1945 auseinandersetzt, mit den Fragen, "die das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden in Deutschland aufwirft". Nach vielen Gesprächen und langen Überlegungen hat er seinem Buch den Titel "Unsichere Heimat" gegeben. "Jede optimistischere Formulierung verbot sich", schrieb der Autor am 6. Juli ins Vorwort. Inzwischen scheint er beinahe zu optimistisch. Seit den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem folgenden Krieg hat dieser Titel leider deutlich an Brisanz gewonnen.

Der Anteil jüdischer Deutscher an der Gesamtbevölkerung ist verschwindend klein: Gerade mal ein Prozent der Menschen in Deutschland gilt als Jüdinnen und Juden, ungefähr 225 000. Wer nach 1945 beschloss, als Jude in Deutschland zu bleiben oder dorthin zurückzukehren, setzte sich Anfeindungen von innen und außen aus. In Israel und der Welt verstand man nicht, wie sie ausgerechnet ins "Land der Mörder" zurückkehren konnten.

Das jüdische Hier und Jetzt sollte stärker betont werden

"Die Juden, die in Deutschland geblieben waren, wurden eben nicht nur von den Deutschen wieder angefeindet, sondern auch von den Juden im Ausland", erzählte Charlotte Knobloch, die selbst ihr ganzes Leben hier verbrachte, dem Autor. "Also verbargen sie ihre Identität, wenn sie sich in anderen Ländern aufhielten, gaben sich zum Beispiel als Schweizer Juden aus." Nicht mehr als 1500 Juden hatten die Nazizeit in Deutschland überlebt, 9000 kehrten aus den befreiten Konzentrationslagern zurück.

Sucher spürt die Kontinuität des Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland auf, die trotz aller Bemühungen bis heute ungebrochen anhält und sich bereits in der Verwendung von „deutsch“ und „jüdisch“ als Gegensatzpaar zeigt.

Der Rabbiner Walter L. Rothschild erklärt eindringlich, warum er „dieses Konzept der ‚Juden‘ als eine Art andere Spezies im Vergleich zu den ‚Deutschen‘“ so verstörend findet: „Nie ist die Rede von ‚den Deutschen und den Katholiken‘ oder ‚den Deutschen und den Vegetariern‘ oder ‚den Deutschen und den Gartenbauern‘, aber es gibt immer ‚die Deutschen und die Juden‘.“

Jüdisch sein ist keine Nationalität

Dieses sprachliche Ungetüm impliziert einen Gegensatz, den es nicht gibt: Schließlich geht es nur um Deutsche. Jüdisch ist keine Nationalität. 2019 initiierte der Jüdische Weltkongress eine Umfrage, die einen „das Fürchten“ lehren kann, wie Sucher schreibt: „Danach waren 27 Prozent aller Deutschen antisemitische Gedanken keineswegs fremd.“

Zurückgegangen dürfte diese Zahl seitdem wohl nicht gegangen sein. Dennoch hat sich jüdisches Leben in diesem Land wieder etabliert: Es wurden jüdische Organisationen vom Zentralrat der Juden bis hin zu Kindergärten und Schulen gegründet, Synagogen wieder aufgebaut oder neu gebaut. Und auch zwischen Deutschland und Israel gab es eine allmähliche Annäherung.

Fragen und Antworten

Sucher geht all diesen Fragen angenehm praxisorientiert nach, spricht mit vielen Menschen und beschreibt auch ganz konkret die (Un-)Möglichkeiten jüdischen Lebens in Deutschland. Ist es zum Beispiel in diesem Land überhaupt möglich, koscher zu leben? Was genau heißt das eigentlich? Und warum wissen so viele so wenig über jüdische Traditionen? Wie kann eine Gesellschaft wie die unsere aus dem Erinnern an die Grausamkeiten der Vergangenheit in eine lebendige gemeinsame Gegenwart finden? Wie funktioniert die vielgerühmte Erinnerungskultur?

Sucher hat sich gründlich umgesehen in den jüdischen Gemeinden des Landes, in den Synagogen, in jüdischen Museen und den KZ-Gedenkstätten. Da geht es meist ausschließlich um das, was Jüdinnen und Juden angetan wurde. Wie in den Schulbüchern kommen sie als Opfer und Ermordete vor, nicht als lebendiger Teil unserer Gegenwart.

Gemeinsamkeiten stärken

Orte, an denen es um jüdisches Leben im Hier und Jetzt geht, gibt es wenig. Selbst die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition orientiert sich in ihren Programmen „an der goldenen Zeit der ostjüdischen Kultur. Sie schaut lieber zurück, beschwört Schtetl-Fröhlich- und -Traurigkeit.“ Zeitgenössische jüdische Künstler fehlen weitgehend.

An Synagogen und Erinnerungsorten gibt es keinen Mangel. „Aber es gibt kein sichtbares und vor allem lebendiges und unbedrohtes Miteinander von deutschen Juden und deutschen Nichtjuden.“ Dabei wäre es doch mehr als wünschenswert, jüdische Gegenwart sicht- und erlebbar zu machen, „die gemeinsamen kulturellen Wurzeln entdecken und zu neuer Blüte bringen, was gewaltsam am Wachsen gehindert wurde. So ein Angebot wäre eine Erinnerung für eine gemeinsame Zukunft.“ Über allem steht der Traum von einer gemeinsamen Zukunft, von einer Normalität - der hoffentlich noch nicht ausgeträumt ist.

Die Zukunft besser machen

Dieses Buch ist ein Nachdenken über Erinnerung und Gegenwart, über Gedenkstätten, Stolpersteine und Mahnmale, über die Möglichkeit, aus der Vergangenheit wirklich zu lernen - und es in der Zukunft besser zu machen. An dieser Hoffnung müssen wir nicht nur festhalten, sondern uns aktiv für sie einsetzen. Oder, wie Sergey Lagodinsky formuliert: "Es bringt nichts, der Toten zu gedenken, wenn einem die lebenden Juden gleichgültig sind."

C. Bernd Sucher: "Unsichere Heimat - Jüdisches Leben in Deutschland von 1945 bis heute" (Piper, 272 Seiten, 24 Euro).

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