Buch über NS-Regisseurin Leni Riefenstahl: Dem Mythos den Rest geben
Erlöser im Anflug. Der Blick aus den Fenstern des Flugzeuges auf Wolkengebirge gaukelt dem Betrachter vor, die Welt mit den Augen des "Führers" zu sehen. Dann durchstößt das Flugzeug die Wolkendecke und wirft seinen Schatten auf die Straßen Nürnbergs, wo Uniformierte für ihren Aufmarsch zum bevorstehenden Reichsparteitag 1934 üben. Als die Maschine landet und Hitler unter emphatischen Heil-Rufen einen offenen Mercedes besteigt, wagnert sich die Musik zu einem ersten Höhepunkt.
Riefenstahls NS-Parteitagsfilm ist ein prekäres Meisterwerk
Der Kraft dieser Bilder und der Musik kann man sich schwer entziehen, selbst wenn man weiß, welche Schrecklichkeiten im Namen und Auftrag Hitlers verübt worden sind. Leni Riefenstahls NS-Parteitagsfilm "Triumph des Willens" ist ein prekäres Meisterwerk. Es war ihr zwiespältiges Verdienst, dass es den Nazis, aufbauend auf den cineastischen Errungenschaften der zwanziger Jahre, im Bereich der Filmkunst gelang, so etwas wie eine eigene, moderne Ästhetik zu etablieren, während in der bildenden Kunst und der Musik kleinbürgerliche Spießigkeit oder martialische Grobschlächtigkeit regierten und auch die Architektur nicht über aufgedonnerten Neoklassizismus hinauskam.
Doch wer war die Frau, die den Diktator und seine Bewegung so perfekt in Szene setzte und mit ihrem Dyptichon von der Naziolympiade 1936 ein zweites Meisterwerk der Verführung kreierte, das bis heute zu den am häufigsten zitierten Werken der Filmgeschichte zählt? Zu Riefenstahls 100. Geburtstag im Jahre 2002 erschienen zwei voluminöse Biografien, die sich am Mythos der Tänzerin, Bergfilmactrice, Regisseurin und Fotografin abarbeiteten und denen es auf unterschiedliche, aber letztlich überzeugende Weise gelang, das Lügengespinst, das Riefenstahl zeitlebens um sich und ihre Arbeit im NS-Staat gesponnen hatte, zu zerreißen.
Dokumentarfilmerin Nina Gladitz: Riefendahl war ein "cineastischer Trottel"
Sie zeichneten das Bild einer vielfach begabten Künstlerin, Organisatorin und politischen Strippenzieherin, die zugleich über eine zweifelhaften Persönlichkeitsstruktur verfügte, in ihrer grenzenlosen Selbstverliebtheit und Geltungssucht beinahe über Leichen ging und sehr viel tiefer in die Untaten des NS-Regimes verstrickt war, als sie selbst je zugeben mochte.

Fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod in Pöcking am Starnberger See mit 101 Jahren, schiebt die Freiburger Dokumentarfilmerin Nina Gladitz ein weiteres Buch nach: "Leni Riefenstahl - Karriere einer Täterin", erschienen im Züricher Verlag Orell Füssli. Darin versucht die Autorin noch einmal eine neue, überraschende Sicht auf Riefenstahl. Die NS-Ikone sei zum einen alles andere als ein Genie, sondern ein "cineastischer Trottel" gewesen und habe ihren Erfolg fast ausschließlich hochbegabten Mitarbeitern verdankt.
Mitwisserin und Vertraute von Hitler
Darüber hinaus legt Gladitz ihr eine mitwissende Komplizenschaft beziehungsweise "Einbindung" in die Ermordung tausender Psychiatriepatienten im Rahmen der sogenannten "Euthanasie"-Aktion und den Holocaust zur Last. Riefenstahl habe kraft ihres persönlichen Kontaktes vor allem zu Adolf Hitler die Macht besessen, ihr missliebige Konkurrenz in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Und mit ihrem gigantischen Bergfilmprojekt "Tiefland" nach der gleichnamigen, in den spanischen Pyrenäen angesiedelten Oper von Eugène d'Albert, habe sie den wichtigsten antisemitischen Hetzfilm der Nazis gedreht, nichts weniger als "die Apotheose der Shoa".
Gladitz pokert hoch mit ihrer Generalabrechnung, der man auf den ersten Blick gerne Glauben schenken will. Passen ihre gewagten Thesen doch ins Narrativ einer immer noch unvollständigen "Aufarbeitung" der NS-Geschichte, die unterdessen jeden Krämerladen dazu veranlasst, seine Archive nach Zeugnissen für eine Mitschuld an den Naziverbrechen zu durchforsten, mit oft bescheidenem Erkenntnisgewinn. Dieser Eindruck stellt sich auch bei der Lektüre von Gladitz' Werk ein, wo man zunächst über zahlreiche semantische Fehler ("kapitalistische" statt "kaufmännische" Buchführung; "endemisch" statt "epidemisch") stolpert, die auf lückenhafte Allgemeinbildung und schlampiges Lektorat schließen lassen.
Das mögen Petitessen sein. Schwerer wiegen historische Ungenauigkeiten. So war der sogenannte Röhm-Putsch kein "Resultat der Rivalität zwischen SA und SS". Vielmehr entledigte sich Hitler mit Hilfe der SS der SA-Führung und des linken Flügels der NSDAP, um sich mit den alten Eliten, insbesondere der Wehrmacht ins Einvernehmen zu setzen.
Buch weist viele Ungenauigkeiten auf
Weiteres Beispiel: Um zu beweisen, dass Riefenstahl schon im September 1939, also während des Polen-Feldzuges, im Casino-Hotel des Ostseebades Zoppot mit Hitler und seiner Entourage über die Euthanasie-Aktion gesprochen habe, führt Gladitz den berüchtigten "Führererlass" (Gewährung des "Gnadentodes" für unheilbar Geisteskranke) vom 1. September 1939 ins Feld. Dieses Dokument wurde von Hitler jedoch erst im Oktober aufgesetzt und auf den Tag des Kriegsbeginns rückdatiert.
Ein besonderes Faible entwickelt Gladitz für den jungen Kameramann Willy Zielke, der den Prolog zu Riefenstahls Olympia-Film gedreht hatte. Ihm wird die Rolle des genialen Counterparts zur "Dilettantin" Riefenstahl und geborenen Opfers einer skrupellosen Karrieristin zugewiesen. Riefenstahl habe Zielke früh als gefährlichen Konkurrenten erkannt, unter Umgehung von "Propagandaminister" Joseph Goebbels das Verbot seines avantgardistischen Eisenbahnfilms "Das Stahltier" erwirkt und ihn nach seinem psychischen Zusammenbruch in psychiatrischen Anstalten "zwischengeparkt", um ihn später für "Tiefland" als eine Art Kamera-Sklaven (der zuvor zwangssterilisiert worden sein soll) reaktivieren zu können.
Gladitz' Beweisführung ist schlicht und inkonsequent
Das Gespräch in Zoppot habe dazu gedient, Zielke aus der Psychiatrie zu befreien, weniger um ihn zu retten, sondern um ihn auf geradezu teuflische Weise auszubeuten und in ihrem Haus bei Kitzbühel dazu noch beinahe verhungern zu lassen. Weshalb nur Zielke und kein anderer der hoch professionellen Kameraleute aus Riefenbachs Umfeld eine angebliche Schlüsselszene in "Tiefland" habe drehen können, bleibt unklar. Gladitz' Beweisführung ist über weite Strecken ebenso schlicht wie inkonsequent. Immer wieder gibt sie expressis verbis zu, über keine schriftlichen oder anderweitigen Belege zu verfügen, nur um ein paar Seiten später die damit verbundenen Erkenntnisse als unumstößliche Fakten zu präsentieren.
Allen Ernstes wertet sie die Tatsache, dass sich Riefenstahl ihr Pöckinger Bungalow an der "Gotenstraße" errichten ließ, als Hinweis darauf, dass sie die Gotenverehrung der Nazis geteilt und die angeblich "arische" Urbevölkerung Südeuropas in "Tiefland" verherrlicht habe. Zu diesem Zweck habe sie die "Zigeuner" zu Arier umgedeutet. Sicher weiß Gladitz mehr als andere über die Sinti- und Roma-Komparsen, die sich Riefenstahl für ihr "Tiefland"-Projekt zwecks "exotischen Kolorits" - der Film wurde kriegsbedingt teilweise nicht in Spanien, sondern in Oberbayern gedreht - aus einem SS-Lager bei Salzburg kommen ließ, hatte sie doch in den 80er Jahren für den WDR eine Dokumentation produziert, in der sie sich mit diesem moralischen Tiefpunkt in Riefenstahls Karriere beschäftigte.
Gladitz' Buch ist ein Rachefeldzug
Doch die Tatsache, dass sich die Regisseurin die Komparsen im Salzburger Lager Maxglan persönlich aussuchte, ist nicht neu. Und ob ihr bewusst war, dass viele ihrer "Zigeuner" nach Ende der Dreharbeiten ermordet wurden? Gladitz spekuliert darüber, dass Riefenstahl sogar eine kleine Gruppe von ihnen vor der Deportation gerettet habe, legt aber auch dies zu ihren Ungunsten aus. Es sei der Beweis dafür, dass sie vom Holocaust gewusst habe.
Riefenstahl war seinerzeit gegen Gladitz' Film vor Gericht gezogen. Die Klage wurde nach einer Prozessdauer von vier Jahren zwar bis auf einen Punkt abgewiesen, doch weigerte sich Gladitz, den Film entsprechend zu bearbeiten, der daraufhin im Archiv verschwand. Danach gelang es ihr offenbar nicht mehr, beruflich Fuß zu fassen. Im Gegensatz zu Riefenstahl, der in der Nachkriegszeit eine erstaunliche zweite Karriere als Fotografin des ostafrikanischen Eingeborenenstammes der Nuba und von Unterwasserwelten gelang, die sie noch in hohem Alter bei Tauchgängen rund um den Erdball erkundete.
Gladitz hatte also eine Rechnung mit Riefenstahl offen, was ihrem Buch den Charakter eines Rachefeldzuges verleiht. Man mag die Frustration der Autorin, die Züge persönlicher Tragik aufweist, verstehen. Doch wie ihr wutschäumendes, historisch äußerst fragwürdiges Pamphlet den Weg zwischen zwei Buchdeckel finden konnte, bleibt das Geheimnis des Verlages, der versichert, das Buch sei "regulär" lektoriert worden. Die richtige Haltung allein reicht nicht aus, um dem, was von Riefenstahls Mythos übriggeblieben sein mag, den Rest zu geben.
Nina Gladitz: "Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin" (Orell Füssli, 432 Seiten, 25 Euro, auch als E-Book)
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