Buch über die Gefahr von Esoterik: Für jeden ist irgendwas dabei

Pia Lamberty und Katharina Nocun haben ein aufschlussreiches Buch über die problematische Sphäre der Esoterik verfasst.
von  Robert Braunmüller
Der am Sturm auf das Kapitol beteiligte Pseudo-Schamane spielt eine kleine, aber wichtige Nebenrolle im Buch von Pia Lamberty und Katharina Nocun über die Gedankenwelt der Esoterik.
Der am Sturm auf das Kapitol beteiligte Pseudo-Schamane spielt eine kleine, aber wichtige Nebenrolle im Buch von Pia Lamberty und Katharina Nocun über die Gedankenwelt der Esoterik. © Cheney Orr/Imago images/ZUMA Wire

Jeder, der negativ von einem Hochwasser betroffen sei, so schreibt ein Esoteriker, habe "weibliche Energien" in sich blockiert. Das entlade sich dann im Außen "in irgendeiner Form, oftmals in Form von gestautem Wasser". Kurzum: Man ist selbst schuld, nicht etwa das Krisenmanagement der Behörden, fehlender Hochwasserschutz oder gar der Klimawandel.

Hat alles Schlechte in der Welt letztendlich individuelle Ursachen?

Pia Lamberty und Katharina Nocun zitieren dieses - zugegeben besonders abstruse - Beispiel in ihrem esoterik-kritischen Buch "Gefährlicher Glaube". Er illustriert nicht schlecht, wie Esoterik funktioniert: Ein verbreitetes kulturelles Bild, das Frauen und Wasser zusammenbringt, wird assoziativ mit Ähnlichem - dem Hochwasser - zusammengebracht.

Wegen der Ähnlichkeit wird eine Beziehung von Ursache und Wirkung hergestellt. Und alles, was in der Welt schlecht ist, hat letztendlich individuelle Ursachen, die womöglich von einem Esoteriker oder Schamanen gegen Barzahlung beseitigt werden kann.

Flott geschrieben und gründlich recherchiert

Kern von Esoterik ist laut Lamberty und Nocun die Suche nach dem wahren, unentfremdeten Selbst. Den Rahmen des Buchs bildet der Rundgang über eine einschlägige Berliner Messe. Hier werden alle einschlägigen Konzepte von der Astrologie über Anthroposophie, Homöopathie und Life-Coaching angeboten.

Auch wenn die Autorinnen durchblicken lassen, dass sie die gesamte Sphäre für Humbug halten, ist der Ton des flott geschriebenen und gründlich recherchierten Buches eher nüchtern und nutzorientiert. Die Kapitel werden durch zusammenfassende Checklisten gegliedert, die auch eher eiligen und im Umfang mit Esoterik ungeübten Lesern eine Hilfe bei der Einschätzung bestimmter Phänomene bieten.

Die Wundertüte widersprüchlicher Elemente ist ein Erfolgsrezept esoterischer Angebote 

Die Autorinnen beginnen mit einem Persönlichkeitstest, wie ihn ähnlich viele Esoteriker anbieten. Lamberty und Nocun demonstrieren dem Leser die (mögliche) Anfälligkeit für den Denkstil in einem Selbstexperiment. Nebenbei erklären sie den nach einem amerikanischen Impresario benannten Barnum-Effekt: "Für jeden ist irgendetwas dabei." Denn ein Erfolgsrezept esoterischer Angebote ist die Wundertüte widersprüchlicher Elemente, die für unterschiedlichste Interessen etwas bereithält.

Auch für durchaus Informierte hält das Buch noch Neues bereit

Lamberty und Nocun erklären sehr schlüssig, wie eigentlich anti-wissenschaftlich orientierte Esoteriker die Naturwissenschaften benutzen, um ihre Mythen glaubhaft erscheinen zu lassen. Auch für durchaus Informierte hält das Buch noch Neues bereit: etwa die angebliche Barcode-Verschwörung, laut der Strichcodes auf Produkten toxische Strahlung absondern sollen.

Wer - wie die Autorinnen - einen beliebigen Biomarkt besucht, kann mühelos feststellen, dass einige Hersteller sogenannte "Entstörer" in Form des Unendlichkeits-Symbols aufdrucken. Teilweise scheint das aus Überzeugung zu geschehen, teilweise allein aus Marketing-Gründen und nach dem Motto "Wenn's nichts nützt, so schadet es auch nicht."

 Querdenkerbewegung: Grüne Technikfeindlichkeit und rechte Systemkritik

Der Bioladen ist ohnehin die eine Brutstätte von Esoterik, die auch Teile der biologischen Landwirtschaft infiltriert hat. Lamberty und Nocun lassen sich in diesem Zusammenhang auch das berühmt-berüchtigte Kackhörnchen nicht entgehen, das Betriebe auf ihren Feldern vergraben, die sie dem anthroposophischen Anbauverband Demeter nahestehen.

Am Ende demonstrieren die Autorinnen die Anschlussfähigkeit der Esoterik an den Rechtsextremismus. Diese Tendenz geht auf die Lebensreformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts zurück, die in ihrer Kritik an der Moderne Rechte und Linke zusammenbrachte. Insofern ist an der von grüner Technikfeindlichkeit und rechter Systemkritik gespeiste Querdenkerbewegung der Corona-Jahre nichts Neues.

Ein schönes Beispiel dafür liefert der beim Sturm auf das Kapitol häufig fotografierte QAnon-Schamane. Die Kostümierung mit alten, angeblich ursprünglichen Ritualen ist ein typisches Esoteriker-Requisit. Der Trump-Sympathisant scheint aus der US-Army geflogen zu sein, weil er eine Impfung verweigerte. Und nach seiner Festnahme scheint er im Gefängnis als erstes nach Bio-Kost gefragt zu haben.


Pia Lamberty, Katharina Nocun: "Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik" (Quadriga, 303 Seiten, 22 Euro)

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