Kritik

Biografie "Helmut Dietl – Der Mann im weißen Anzug": Die Melancholie im Erfolg

Der Feuilletonist Claudius Seidl hat eine Biografie über Helmut Dietl geschrieben – und damit auch über München.
Adrian Prechtel
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Senta Berger und Helmut Dietl 1986. In diesem Jahr war Berger die Mona in "Kir Royal".
Senta Berger und Helmut Dietl 1986. In diesem Jahr war Berger die Mona in "Kir Royal". © imago/teutopress

Bis zu seinem Tod am 30. März 2015, der dem Lungenkrebs geschuldet war – nach "bis zu 100 Zigaretten am Tag", wie er selbst angab, hatte Helmut Dietl an seiner Autobiografie geschrieben: "A bissel was geht immer" – ein Zitat von Helmut Fischer als ewiger Stenz.

Dietls Buch bricht ab, als der Vorstadtjunge als Geliebter der mächtigen Volksschauspielerin und BR-Produzentin Elfie Petramer in der Medienwelt gelandet ist. Und weil bis zu diesem Punkt keine anderen Zeugnisse existieren, muss man Dietls Erinnerungsfantasien über Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit einfach glauben.

Helmut Dietl und die 70er Jahre

Claudius Seidl, seit Studientagen Münchner, der 2001 die "SZ" zu Gunsten der "FAS" Richtung Berlin verließ, widmet dieser Anfangsphase Dietls 100 Seiten, um dann Anfang der 70er-Jahre einzusteigen, in das, was man öffentlich unter Helmut Dietl und seinem Werk versteht, die "Münchner Geschichten", des damals Mitte/Ende Zwanzigjährigen.

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"Mehr Flirts, mehr Lächeln, mehr Süden"

München hatte "mehr Straßencafés, bessere Laune, mehr Musik, mehr Flirts, mehr Lächeln, mehr Süden", erklärt Seidl den Unterschied zur restlichen Bonner Republik. Hier waren die "Schwabinger Krawalle" zuvor nur "die größte Wirtshausschlägerei" gewesen, die man erleben konnte und die Studentenrevolution von 1968 nicht ganz so militant und verbissen gewesen wie in Berlin und Frankfurt. Man konnte weiter flanieren mit Gitanes im Mund und später meist mit dem ikonischen weißen Anzug, der Dietl eine elegante Lässigkeit verlieh.

München spiegelt sich in Dietsl Figuren

Für Seidl ist klar: München spiegelt sich in Helmut Dietls Figuren, die wiederum auch alle ein Alter Ego Dietls sind: angefangen mit Günther Maria Halmer, dann in Helmut Fischer als "Monaco Franze", dem charmant rebellischen Träumer und Hallodri. Dann kommt Franz-Xaver Kroetz in "Kir Royal" ins Spiel als selbstberauschter Society-Beobachter. München ist bei alledem eben nicht bierselig, konservativ, CSU-verdorben, oberbayerisch, sondern urban verfeinert, wenn auch von Dietl ironisch gesehen.

Inoffizieller Halbitaliener

Aber genau so wollte sich München ja sehen: "Dass sich im Blau ihres Himmels das Mittelmeer spiegele, davon waren die Münchner überzeugt", wofür der inoffizielle Halbitaliener Dietl – eine Affäre 1943 seiner Mutter hatte es möglich gemacht – natürlich selbst ein wunderbarer Spiegel war. Es ist ein realistisch und gleichzeitig prophetischer Aspekt, dass bereits in der ersten Episode der "Münchner Geschichten" 1974 im kleinbürgerlichen Lehel vor Therese Giehses Augen ein Haus weggerissen wird und durch einen schicken Neubau ersetzt wird – und überhaupt die Gentrifizierung massiv einsetzt.

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Eine Biografie Dietls – und Münchens

So ist "Helmut Dietl – Der Mann im weißen Anzug" zwar eine Biografie Dietls, aber damit gleichzeitig auch Münchens. Was das Buch doppelt spannend und amüsant macht. Dass Los Angeles der zweite – zeitweise wichtigere – Lebensmittelpunkt Dietls wurde, ist erst einmal verwunderlich, weil diese Megastadt als Hauptstadt des Vergessens und der Anonymität genau das Gegenteil eines Millionendorfes ist.

Aber genau das zeigt auch die Distanz, die Dietl als Münchner zu München empfand und die er psychisch brauchte. Eine lustige Episode im Buch ist dann auch, wie Dietl verzweifelt versucht, einen Leberkäs in Kalifornien aufzutreiben – inklusive dem an Zollbehörden gescheiterten Versuch, tiefgefrorenen Brät aus München mit dem Flugzeug einfliegen zu lassen. Geeignete Semmeln waren ebenfalls nicht aufzutreiben. Dabei seien für Dietl – und Patrick Süskind, der L.A. ohnehin hasste – im tage- und nächtelangen Kreativprozess Leberkässemmeln der inspirierendste Imbiss gewesen.

Ein dynamisches Buch

Dynamisch ist Seidls 350-Seiten-Buch, weil es sich nicht lange aufhält mit Bettgeschichten und Drogenexzessen. Beides kommt natürlich vor – inklusive kaltem Entzug in Frankreich und den USA und eben der Tatsache, dass Dietl vielleicht nicht besonders treu war, aber sich doch immer wieder fest gebunden hat. Dietl war viermal verheiratet – mit der Journalistin Karin Wichmann, die für beide das Geld verdiente.

Dann wurde Dietl der Ehemann von Barbara Valentin, die stark, wild und leicht vulgär geschildert wird und das Kokain in die Runde einbrachte. Claudius Seidl hat hier – allerdings nie schlüpfrig – Innenansichten bekommen, weil er dazu den großen Autor neben Dietl gesprochen hat: Patrick Süskind, den öffentlich fast unsichtbaren Co-Autoren Dietls seit den 80er Jahren mit "Monaco Franze".

Nach einer weiteren Ehe mit der Französin Denise Cheyresy war Dietl neun Jahre mit Veronica Ferres liiert. Seine letzte Ehe schloss er 2002 mit der Moderatorin und Dokumentarfilmregisseurin Tamara Duve, die Seidl auch den gesamten Nachlass zur Recherche zur Verfügung gestellt hat.

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Helmut Dietls Frauen

Frauen waren demnach für Dietl zwar Musen, Anker – wie beim Drogenentzug – und natürlich auch Objekte der Begierde, aber: "Mein Leben ist meine Arbeit, Frauen müssen sich dem unterordnen", hatte Dietl selbst einmal klar formuliert: "Für Frauen besteht der Sinn des Lebens darin, möglichst oft glücklich zu sein. Für mich natürlich nicht. Und das traute Beisammensein ist mir fad. Glück ist für mich, wenn mir was glückt."

Aber natürlich konnte Dietl ohne Frauen nicht auskommen, und es war für ihn prägend – mit einem offiziellen Vater, der nie in Erscheinung trat – fast ausschließlich unter Frauen aufgewachsen zu sein: mit einer bedingungslos liebenden Mutter und zwei wichtigen, sehr unterschiedlichen Großmüttern.

Claudius Seidl sieht einen Wendepunkt in Dietls Leben, als München endgültig eben nicht mehr München war: mit dem Verlust des Status als "heimlicher Hauptstadt", die München mangels Alternativen ja wirklich lange war. Als Dietl 1992 mit "Schtonk!" eine Komödie über die gefälschten Hitler-Tagebücher drehte, waren sich Branche und Kritiker einig, dass sich in Deutschland niemand für eine Mediensatire mit Nazi-Hintergrund interessieren würde. Doch der Kinodebüt-Film Dietls wurde in der Wendezeit ein unheimlicher Erfolg: drei Millionen Kinogänger in Deutschland und eine folgende Oscar-Nominierung.

Dann ging's leicht bergab

Von nun an aber ging's leicht bergab: 1997 mit der schönen, etwas zu zerfaserten Kulturgesellschafts-Betrachtung "Rossini", der im Schwabinger Filmszene-Italiener, dem Romagna Antica, spielt. Hier findet bereits eine Götterdämmerung für Machos statt und: Keiner redet mehr Münchnerisch.

Dann kam "Late Show" als Fernseh-Medien-Satire (1999), in der Gottschalk im Zentrum steht, aber eben kein Schauspieler ist. Und der geschlechtlich umgedrehten, etwas verquast-mythischen Orpheusgeschichte "Vom Suchen und Finden der Liebe" (2005) fehlte dann ein definiertes Milieu und eine fesselnde Dramaturgie.

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Künstlerisch war seine Zeit abgelaufen

Die Frage, wie Helmut Dietl weiter gemacht hätte, wäre er nicht 2015 gestorben, ist natürlich müßig. Aber irgendwie war seine Zeit eben auch künstlerisch abgelaufen, weil in den hohen Sender-Etagen ein anderer Wind wehte. So hatte für "Zettl" zum Beispiel der Norddeutsche Rundfunk abgesagt, mit dem Hinweis, der Film sei "zu sexistisch".

Aber der Film wurde wirklich eine Katastrophe. Seidl beschreibt, wie Dietl und Co-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre Hunderte von Seiten schrieben, aber den Stoff nicht in den Griff bekamen. Wütend – wohl eher auf sich selbst – warf Dietl dann um die Premiere 2012 herum Berlin vor, eben "immer noch keinen Stil und keine Eleganz" zu haben und nichts "Spielerisches". Aber Seidl hat im Nachlass Dietls die Absage von Franz Xaver Kroetz als Hauptdarsteller gefunden, in der er Dietl etwas Wahres schreibt: "Dem Drehbuch fehle etwas, was "womöglich Wärme" sei, "Empathie" mit den Figuren.

Von witzig-weise bis genervt-boshaft

"Melancholie und das grundsätzliche Unvermögen, zufrieden zu sein mit den Verhältnissen und sich selbst", war "immer ein Charakterzug Helmut Dietls", bescheinigt Seidl. Das führte bei Dietl auch zu einer Bissigkeit, die vom Witzig-Weisen ins genervt Boshafte umschlagen konnte. So ist die biografisch betrachtete Person auch kein reiner Sympathieträger, sondern bleibt ein schwieriger Mensch.

Claudius Seidl hat damit aber das richtige Buch geschrieben: keine Heiligsprechung. Seidl analysiert Dietl aus der wohlwollenden, fast liebenden Distanz eines Mannes, der dem verehrten Objekt der Betrachtung nie eng begegnet ist, außer auf offiziellen oder halboffiziellen Veranstaltungen, auf denen eben ein Feuilletonist einen Künstler trifft. Wobei keinen Moment Zweifel bleiben, dass dieser Mann, der sich über Gäfelfing, Neufriedenheim nach Schwabing und ins imaginäre Herz Münchens vorgearbeitet hatte, ein Genie war: lange Zeit als treffender Zeitgeist-Analytiker mit Ironie und Wärme.

Claudius Seidl: "Helmut Dietl - Der Mann im weißen Anzug" (Kiepenheuer & Witsch, 350 Seiten, 25 Euro). Am Mittwoch, 30 Nov., stellt Claudius Seidl sein Buch im Gespräch mit Hanns Zischler um 19 Uhr im Literaturhaus vor. Karten: 15/10 Euro, literaturhaus-muenchen.de

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