Interview

AZ-Interview mit Drehbuchautor Anthony McCarten: "Wir brauchen eine digitale Pause"

Einer der großen internationalen Drehbuchschreiber hat einen Thriller-Roman geschrieben: Interview mit Anthony McCarten über "Going Zero".
Nicola Bardola |
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Seine Partnerin Eva Maiwald lernte Anthony McCarten bei einer Lesung in München kennen.
Seine Partnerin Eva Maiwald lernte Anthony McCarten bei einer Lesung in München kennen. © imago images/Starface

Auf dem Cover der deutschen Ausgabe ist ein Fingerabdruck zu sehen – wie ein Labyrinth, aus dem die Hauptfigur herausfinden muss. Denn es geht um eine politische Wette gegen den Überwachungsstaat: Zehn Menschen – fünf Profis aus dem Umfeld der Geheimdienste und fünf Laien – sollen sich für 30 Tage unter dem Radar aller Suchdienste verstecken, ohne dass ihr Aufenthaltsort gefunden wird. Anthony McCartens "Going Zero" erscheint am Mittwoch gleichzeitig in 24 Sprachen.

Der heute 63-jährige Autor wurde in New Plymouth (Neuseeland) geboren und schrieb als 25-Jähriger mit Stephen Sinclair den Theaterhit "Ladies Night". Es folgten Romane und Drehbücher, für die er schon mehrere Male für einen Oscar nominiert war (u.a. zu "The Theory of Everything" und "Darkest Hour" und "Bohemian Rhapsody"). Er lebt in London.

AZ: Mr. McCarten, "Going Zero" ist ein Tech-Thriller, der Elemente eines Agenten- und eines Polit-Thrillers enthält.
ANTHONY MCCARTEN: Die Idee hat die Form diktiert. Es war das erste Mal, dass ich einen Stoff hatte, der als Thriller erzählt werden musste. Ich habe noch nie zuvor einen Thriller geschrieben. Die Herausforderung, mit diesem Buch formal etwas so Exaktes wie ein Schweizer Uhrwerk herzustellen, hat mich begeistert. Hinzu kam der Anspruch, einige der Romanfiguren in aller Kürze ohne Klischees zu schaffen und sprachlich genauso sorgfältig zu sein wie bei Drehbüchern. Das erklärt vielleicht auch, warum es ein Thriller mit literarischen Elementen und auch mit ethisch-moralischen Fragestellungen ist.

Die Idee, dass wir überall eine digitale Spur hinterlassen, und wenn wir nur das Licht einschalten, ist beklemmend.
Der Anstoß für "Going Zero" fand 2016 bei einem Abendessen mit Freunden statt. Wir saßen um einen Tisch, unterhielten uns angeregt, bis jemandem auffiel, dass er gerade genau dazu auf seinem Smartphone Werbung angezeigt bekam. Schließlich hatten wir den Eindruck, dass die Handys uns zuhörten. Und wir fragten uns, wie weit fortgeschritten die digitale Überwachung schon war und wie man ihr entkommen kann. Diesen Gedanken entwickelte ich weiter: Was, wenn man gezwungen wird, unter dem Radar, dem digitalen mit all seinen neuen technischen Möglichkeiten zu bleiben?

McCarten: "Die sozialen Netzwerke sind Teil einer Matrix"

Bereits 2012 sagten Sie, Facebook sei die Industrialisierung der Freundschaft.
Ich denke, die sozialen Netzwerke sind Teil einer Matrix, die der Überwachung dient und allgegenwärtig ist. Facebook & Co führen dazu, dass persönliche Freiheit weiter beschnitten werden, dass die individuelle Urteilsfähigkeit weiter eingeschränkt wird. Wir können nicht mehr sicher sein, wie sehr unsere Gedanken wirklich noch unsere sind. Die Grenzen des Individuums, des Selbst erodieren zurzeit.

Sie sind in sozialen Netzwerken nicht aktiv.
Überhaupt nicht. Ich kann zwar nicht verhindern, dass Dritte über mich berichten und Bilder posten, aber ich selbst nutze die Netzwerke nicht und beachte sie nicht. Dafür tun das meine Kinder umso intensiver.

Im Roman erleben wir als Leser einen unzuverlässigen Erzähler, der trotzdem auktorial erzählt. Wie haben Sie das hinbekommen?
Bevor ich ernsthaft mit dem Schreiben eines Romans beginne, muss ich das Ende kennen. Denn nur wenn ich das Ziel kenne, weiß ich auch, wie sich falsche Fährten kunstvoll entwickeln können. Ich hatte es mit zehn Kandidaten zu tun, die nicht nur den technischen Überwachungsapparat, sondern auch die Leser herausfordern. Sie versuchen zu verschwinden und sind schlauer als die Leser. Normalerweise entwickle ich relativ rasch den Plot und danach beginnt die langsame und ausdauernde Schreibarbeit. Hier habe ich zu achtzig Prozent am Plot gearbeitet, auch noch im Schreibprozess, der drei Jahre gedauert hat. Manchmal fühlte sich das wie ein riesiges Kreuzworträtsel an oder wie ein Schachspiel, bei dem es unfassbar viele verschiedene Möglichkeiten gibt. Es gab Phasen, in denen ich dachte, dass ich das nicht schaffe. Aber schließlich ist es mir gelungen, die richtigen Puzzleteile an die richten Stellen zu setzen. Meine Wertschätzung für Thriller-Autoren ist seither stark gewachsen. Das betrifft auch die Rasanz, also die Geschwindigkeit innerhalb von Thrillern.

Es gibt einige interessante Personennamen in "Down Zero", beispielsweise Cy Baxter, der entfernt an Marc Zuckerberg oder Elon Musk erinnert.
Während des Schreibens ändern sich oft die Namen. Manchmal ist ein Klang da, der mir hilft, tiefer ins Innere der Figur vorzudringen. Cyrus ist ein Glücksfall. Er verweist einerseits auf Cyber und den gesamten Resonanzraum und andererseits auf den Gründer des Persischen Reichs, der letztlich an der Iranischen Königin Tomyris scheitert. Da bieten sich die Parallelen ja an.

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McCarten fordert: "Aufhören, gewissen Apps unbeschränkte Rechte einzuräumen"

Profitieren wir nicht von den Fortschritten der digitalen Entwicklung?
Ich schätze, wir befinden uns mitten in einer Revolution und reagieren sehr langsam auf die Gefahren. Wir brauchen eine Pause, wie sie gerade auch von Wissenschaftlern gefordert wird. Vielleicht braucht es Regulierungen und Tests wie bei Nahrungsmitteln oder Medikamenten.

Was kann der Einzelne tun?
Die Passivität beenden und die Macht besser verstehen, die durch digitale Überwachung entsteht. Und diese Überlegungen immer wieder thematisieren. Sich vorstellen, was geschieht, wenn diese Macht massiv missbraucht wird. Aufhören, gewissen Apps unbeschränkte Rechte einzuräumen. Wir brauchen eine Phase der Regulierungen, so dass diese Rechte gar nicht erst eingeholt werden. Die Balance zwischen Privatsphäre und Sicherheitsbedürfnis ist jetzt schon aus dem Lot. Letzteres wird durch Regierungen und Digitalkonzerne befördert. Für dieses Ungleichgewicht sollte ein neues Bewusstsein entstehen. Vielleicht ist mein Buch dann auch letztlich mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Europa ist diesbezüglich weiter als die USA.

Sie geben aber auch den Befürwortern hemmungsloser Digitalisierung eine Stimme. Cy sagt, die Menschen sehnten sich nach Überwachung: Beobachtet zu werden, das fühle sich ein wenig so an, wie geliebt zu werden.
Wir glauben, die Privatsphäre sei uns sehr wichtig. Aber wir ahnen oft nicht, wie wenig Privatsphäre wir überhaupt noch haben. Wenn wir mit jemandem - und sei es mit einem Algorithmus oder mit künstlicher Intelligenz – unsere Geheimnisse teilen, dann haben wir das Gefühl, dass man sich irgendwie um uns kümmert.

Ihr Erfolg mit Drehbüchern ist schon seit vielen Jahren enorm. In "Die dunkelste Stunde" von 2017 zeigen Sie Winston Churchill als britischen Premierminister zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, der mit Roosevelt telefoniert und ihn flehentlich, aber vergeblich um Waffen bittet. Wiederholt sich gerade die Geschichte in der Ukraine?
Durch die Neutralitätsgesetze und den Isolationismus der USA waren Roosevelt die Hände gebunden. Die Szene mit dem Telefonat ist tragisch, aber auch ein wenig komisch, wenn man sieht, wie sich der große Verbündete USA windet, um die ausbleibende Militärhilfe zu begründen oder durch symbolische Gesten wettzumachen. Die Szene ist ein Beispiel für eine tiefgehende Recherche, die zu erstaunlichen Einzelheiten führt. Und man setzt das dann als Film in die Welt und es beeinflusst die Menschen auf ganz verschiedene Weise. Roger Federer beispielsweise sagte, er habe den Film vor dem Finale der Australian Open gesehen und es dann gewonnen.

"In London hat der Brexit in jeder Hinsicht zu Verschlechterungen geführt"

Das erste Mal sind Sie 1993 nach München gekommen als Schauspieler in einem Zombiefilm von Peter Jackson. Das zweite Mal 2007 als Romanautor. Dann kamen sie ein drittes und viertes Mal zu Buch & Café Lentner. Das veränderte Ihr Leben, denn sie verliebten sich in die Besucherin Eva Maiwald.
Eva und ich sind immer noch ein Paar, aber unser Lebensmittelpunkt ist jetzt in London. Hier in Haidhausen haben wir eine Wohnung als zweites Standbein. Ihre Eltern leben hier, wir haben viele Freunde hier und wir kommen etwa viermal im Jahr zurück. München ist eine wundervolle Stadt. In der Früh springe ich aus dem Bett, kaufe frisches Brot, lese Zeitung in Cafés, Mittags eine Leberkässemmel, abends ein Weißbier. Die Kellner kennen mich und ich genieße die Atmosphäre. In London hat der Brexit in jeder Hinsicht zu Verschlechterungen geführt. Und zum Brexit haben auch die sozialen Netzwerke und die dadurch gesteigerte Macht von Fake News geführt. Großbritannien durchleidet jetzt die Konsequenzen, ausgelöst durch Algorithmen, die in die Irre führen.

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War Ihre Nähe zu München hilfreich für die Recherchen zu Ihrem Theaterstück und zum Film "Die zwei Päpste"?
Ja, sehr. Evas Vater arbeitete unter Kardinal Ratzinger als er Erzbischof von München und Freising war. Das war eine wichtige Informationsquelle. Viele Details, die immer mal wieder den Witz im Film ausmachen stammen aus den Interviews, die ich mit Evas Vater führte. Dadurch konnte ich das Menschliche im Papst aus Bayern betonen, bis hin zu seiner Gewohnheit, Fanta zum Abendessen zu trinken.

Sie schrieben auch das Drehbuch zum Film "Bohemian Rhapsody". Im Film verbringt Freddie Mercury sehr schlechte Zeiten in München. Barbara Valentin kommt gar nicht vor. Hätte hier diese Phase nicht mehr Aufmerksamkeit verdient?
Freddie hatte eine sehr gute Zeit in München. Er hat rauschende Partys gefeiert und sich hier sehr wohl gefühlt. Aber er hat es auch übertrieben. Sein Drogenkonsum war groß. Er brannte die Kerze an beiden Enden ab. Insgesamt war das deshalb eine schwierige Zeit für die Band. Freddies Ausschweifungen, seine Solo-Projekte hätten Queen fast gesprengt. In München hatte er sich vom Mutterschiff abgenabelt. Aber er brauchte allein schon als Musiker seine Bandkollegen. Darauf setzt der Film den Schwerpunkt. Die Dramaturgie verhindert es, auch schöne Details von Freddie in München zu zeigen. Dafür entschuldige ich mich bei den Queen-Fans in Bayern. Man hätte einen ganzen Film machen können nur über Freddies ausschweifendes Leben in München.

Eine spannende künstlerische Zusammenarbeit fand auch zwischen Yoko Ono und John Lennon statt. Ihr Drehbuch für den Film mit dem Arbeitstitel "Yoko Ono & John Lennon" ist beendet.
Wir suchen gerade einen Regisseur und hoffen, den Film noch dieses Jahr zu drehen. Mein Ziel ist es, Yoko darin auch als eigenständige Künstlerin zu zeigen. Sie wurde nicht nur von Beatles-Fans schlecht behandelt. Man hat sie als Verrückte hingestellt, sie habe John noch exzentrischer gemacht, als er ohnehin schon war. Vor zwei Wochen war ich bei ihrem und Johns Sohn Sean in New York im Dakota Building. Wir haben Einzelheiten besprochen und dabei erzählte er mir, dass sich Yoko inzwischen nördlich von New York in Pflege befinde. Ich hoffe, dass sie den Film noch genießen wird, denn es gilt damit für das große Publikum Vieles in ihrem Leben neu und anders zu sehen.


Anthony McCarten: "Going Zero" (Diogenes-Verlag, 464 Seiten, 25 Euro)

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