Interview

Ayaan Hirsi Ali: "Die religiös bedingte Frauenfeindlichkeit ist abgrundtief"

Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali polarisiert mit ihrem Buch "Beute - Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht".
Margret Köhler |
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Schwer erkämpfte abendländische Werte und rigide islamische Tradition: Unvereinbar? Coverbild des Buches "Beute" von Ayaan Hirsi Ali.
Schwer erkämpfte abendländische Werte und rigide islamische Tradition: Unvereinbar? Coverbild des Buches "Beute" von Ayaan Hirsi Ali. © Bertelsmann

AZ-Interview mit Ayaan Hirsi Ali: 1969 in Somalia geboren und als streng gläubige Muslima erzogen, floh sie aus Angst vor Zwangsheirat in die Niederlande, wo sie Asyl beantragte.

Ayaan Hirsi Ali: Auch in ihrer neuen Heimat Kalifornien unter Polizeischutz

Für ihren Lebensunterhalt arbeitete sie als Putzfrau und Postsortiererin, dann als Dolmetscherin für Behörden, studierte später Politikwissenschaft und war von 2003 bis 2006 Mitglied des niederländischen Parlaments. Die Frauenrechtlerin und Autorin lebt heute mit Ehemann und zwei Kindern in USA.

Bereits 2002 kritisierte Ayaan Hirsi Ali öffentlich muslimischen Extremismus und die Einschränkung von Frauen durch Tradition und Religion. Seitdem steht sie unter Polizeischutz, auch in ihrer neuen Heimat Kalifornien. Trotz Absage an Populisten und trotz akribischer Recherche und Statistiken sind ihre rigorosen Aussagen zu den Folgen von Migration in Europa umstritten.

Ayaan Hirsi Ali: "Ich unterscheide vier Gruppen von Migranten"

Unbezweifelbar ist aber ihr mutiges Eintreten für die Rechte der Frauen, was umso wichtiger ist, in Zeiten, in denen zum Beispiel die Türkei die Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt an Frauen verlassen hat.

Bereits 2002 kritisierte Ayaan Hirsi Ali öffentlich muslimischen Extremismus und die Einschränkung von Frauen durch Tradition und Religion. (Archivbild)
Bereits 2002 kritisierte Ayaan Hirsi Ali öffentlich muslimischen Extremismus und die Einschränkung von Frauen durch Tradition und Religion. (Archivbild) © imago images/IPON

AZ: Frau Hirsi Ali, Sie sind als erfolgreiche Frau eine Art Vorbild für Migrantinnen. Warum befürchten Sie durch den Zustrom junger Migranten muslimischen Glaubens eine Aushöhlung der in Europa erkämpften Frauenrechte?
AYAAN HIRSI ALI: Zuwanderer aus der muslimischen Welt bezeichne ich nicht pauschal als Bedrohung für Frauen oder stelle sie unter Generalverdacht. Allein aufgrund meiner eigenen Lebenserfahrungen bin ich für die Möglichkeit, zu emigrieren und woanders einzuwandern. Dass Menschen ihre Sachen packen und in der Ferne ein besseres Leben für sich und ihre Kinder anstreben, ist doch verständlich. Aber gerade Muslime bringen ihre traditionellen Vorstellungen mit, die mit dem europäischen Freiheitsbegriff kollidieren. Wir haben über Jahre Statistiken gesammelt, die eine Zunahme sexueller Straftaten vom Begrabschen bis zur Vergewaltigung belegen. Was zur Unsicherheit im Alltag führt. Nach der brutalen Vergewaltigung einer Joggerin im Englischen Garten Ende 2016 durch einen Asylbewerber hatte so manche Frau sicherlich ein mulmiges Gefühl im Park.

Aber da kann man doch nicht alle muslimischen Männer über einen Kamm scheren.
Nein. Ich unterscheide da vier Gruppen von Migranten: die "Anpassungswilligen", die die Freiheiten und Werte Europas schätzen. Zu dieser Kategorie, in der Erfolge zu verzeichnen sind, zähle ich mich. Danach unterscheide ich zwischen "Bedrohungen": wie junge Männer aus zerstörten Familien, die ihren Halt verloren haben und schnell auf die schiefe Bahn geraten, durch falsche Freunde unter Gruppendruck geraten und für Ärger sorgen. Dann folgen die Fanatiker, religiöse Eiferer, die eine fundamentalistische Version des Islam verbreiten und dann die "Drifter", die oft im Sozialsystem landen und hängenbleiben.

"Regelbrecherinnen sind schutzlos, gelten bei sexueller Gewalt nicht als Opfer"

Sexuelle Gewalt gegen Frauen und sexuelle Belästigung oder Intoleranz sind ein globales Problem. Wieso glauben Sie, dass muslimische Männer da eine Sonderstellung einnehmen?
Frauenfeindlichkeit und mangelnde Wertschätzung finden wir in allen Kulturen. In vielen islamischen Ländern sind die Bürgerrechte von Frauen radikal beschnitten, die religiös bedingte Frauenfeindlichkeit ist abgrundtief. Das liegt auch an der gesellschaftlichen Einteilung in "anständige" und "nicht anständige" Frauen mit harten Sanktionen. Wer das Anstandsgebot befolgt, steht unter dem Schutz von Männern der Familie. Regelbrecherinnen sind schutzlos, gelten bei sexueller Gewalt nicht als Opfer. Wer so erzogen ist, für den ist es schwierig, Frauen als gleichberechtigt zu sehen. Westliche emanzipierte Frauen gelten oft schon aufgrund ihrer Kleidung und ihres Verhaltens als "nicht anständig" und daraus resultierend als "Beute". Denken Sie nur an die Silvesternacht in Köln 2015. Die Männer sind nicht auf den Kulturschock vorbereitet. Das sollte jedoch kein Grund sein, sie bei Übergriffen nicht zur Verantwortung zu ziehen. Sonst geraten mühevoll erkämpfte Frauenrechte in Gefahr. Bei denjenigen, die sich den Normen der Gesellschaft verweigern, sind Mitleid und juristische Milde nicht angebracht.

Ayaan Hirsi Ali über Verantwortungsbewusstsein, Würde, Toleranz und Respekt

Diese Männer sind in einem repressiven System mit einer patriarchalischen Religion aufgewachsen, mit Gewalt als Mittel der Konfliktlösung. Vielleicht haben sie auf der beschwerlichen Flucht Empathie verloren, finden sich ohne Orientierung in einem fremden Wertesystem. Können wir sie da einfach so verurteilen?
Der Fehler liegt bereits darin, dass die Politik sie nach Europa lässt, statt erst einmal die Ressourcen in den Herkunftsländern nutzen. Dann müssten diese Menschen ihre Heimat nicht verlassen, sondern könnten sich vor Ort eine Existenz aufbauen. Ich plädiere für ein klares Auswahlverfahren: Nur wer Werte wie Verantwortungsbewusstsein, Würde, Toleranz und Respekt dem anderen gegenüber akzeptiert, egal welchen Geschlechts, sollte bleiben dürfen und das Angebot für ein effektives Integrationsprogramm erhalten, was sich nicht nur auf Vermittlung von Sprache beschränken darf. Wer dies ablehnt oder ständig Straftaten begeht, für den sollte es ein Rückführungsprogramm in die Heimat geben. Auch als Warnung an andere, so würden manche Probleme erst gar nicht entstehen.

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Abschiebung geht oft nicht aus verschiedenen Gründen. Die Menschen bleiben und bilden Parallelgesellschaften.
Abschottung ist eine gefährliche Tendenz. Da wachsen Kinder in einem kulturellen Kokon auf. In der eigenen ethnischen oder religiösen Gemeinschaft nimmt die soziale Kontrolle sukzessive zu. Es muss eine "Gentrifizierung" her, die Begegnung und Zusammenleben von Deutschen und Migranten in einem Viertel ermöglicht. Die sozialen Brennpunkte und "Gettos" sind ein Magnet für Kriminelle und Nährboden für das Clan-System verschiedener Ethnien. Das Problem kann jetzt noch gelöst werden, in 20 Jahren ist es zu spät. Deutschland oder Frankreich dürfen auch den Aufbau einer radikalen Infrastruktur durch von Islamisten gegründete islamische Zentren nicht dulden.

"Der Staat darf sich keinen Kontroll- oder Vertrauensverlust erlauben"

Befürchten Sie keine Vereinnahmung durch Rechte?
Wer das annimmt, versteht meine Bücher nicht. Ich stehe auf der Seite der demokratischen Parteien der Mitte. Die sollten diese Aufgaben allerdings ernst nehmen. Zu lange wurde weggeschaut und gehofft, soziale Wohltaten würden reichen. Davon haben rechten Parteien profitiert und diese Leerstellen besetzt, indem sie sich als Hüter von Sicherheit und Ordnung aufgespielt haben. Ich bin trotzdem optimistisch. So hat der französische Präsident Macron mit der Forderung nach rigideren Einwanderungsregeln Marine Le Pens Rassemblement National Wind aus den Segeln genommen. Und seitdem die Sozialdemokraten in Dänemark einen härteren Kurs fahren, gewinnen sie Wähler zurück. Wir dürfen diese Themen nicht den äußersten Rechten und Populisten überlassen, sondern sollten sie ganz oben auf die Agenda setzen. Der Staat darf sich keinen Kontroll- oder Vertrauensverlust erlauben.

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Stößt die liberale Gesellschaft an ihre Grenzen?
Die Politik sollte die Erfahrungen erfolgreich integrierter Migranten einbeziehen, die ja in der Mehrheit sind und zusammen mit ihnen die Zwangsheirat nicht tolerieren und die in Deutschland rasant steigende Genitalverstümmelung stärker ahnden. In einigen westlichen Ländern wird gar zu "cutting parties" oft eine Beschneiderin eingeflogen, um mehrere Mädchen zu beschneiden. Die Unterdrückung der Frau beginnt mit der Unterdrückung ihrer Sexualität. Man muss bei den Kindern anfangen, eine sexuelle Erziehung für Jungen und Mädchen auch gegen familiären Widerstand durchsetzen. Dafür sorgen, dass Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen und an Schulausflügen, einen Schulabschluss machen. Bildung eröffnet ihnen berufliche Chancen und damit, auch über Ehe und Zahl der Kinder zu entscheiden. Muslimische Frauen sind der Schlüssel zur Integration.

"Frauen in ärmeren Schichten fehlt die Stimme"

In Ihrem Buch verlangen Sie eine neue feministische Bewegung.
Ja, eine Bewegung, die auch Menschen in prekären Verhältnissen einschließt. Alles beginnt mit der Sicherheit. Frauen müssen sich im öffentlichen Raum sicher fühlen und bei sexueller Belästigung nicht die Schuld bei sich suchen. Besonders die sozial schwache und verletzliche Bevölkerung ist ja mit den negativen Folgen der Migration konfrontiert und muss vor allem die Fehler der Politik ausbaden. Das ist nicht fair. Von #MeToo hört man auf diesem Terrain wenig.

Wie erklären Sie sich das?
In dieser wichtigen Bewegung sind viele kluge, aber auch wohlhabende Frauen aktiv, gebildet und mit gutem Netzwerk in ihrer Schicht. Sie haben vor allem die "mächtigen alten weißen Männer" im Visier. Frauen in ärmeren Schichten fehlt die Stimme. Diese Frauen brauchen ihre eigene Bewegung und Organisation.


Ayaan Hirsi Ali: "Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht" (Bertelsmann, 432 Seiten, 22 Euro)

 

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