Den Roman "Abschied" von Sebastian Haffner kann man sich sparen
Es gibt Bücher, die nicht grundlos zu Lebzeiten eines Autors oder einer Autorin unveröffentlicht bleiben. Nur in den seltensten Fällen enthalten alte Koffer und Mappen verschollene Meisterwerke. Hin und wieder beruht die Verspätung darauf, dass Gefühle noch Lebender nicht verletzt werden sollen. In den meisten Fällen handelt es sich um Manuskripte, die berühmt gewordenen Verfassern oder Verfasserinnen zwar peinlich geworden sind, aber so peinlich auch wieder nicht, als dass sie eine Vernichtung für nötig befunden hätten.
Der nun von den Erben freigegebene Kurzroman „Abschied“ des 1999 verstorbenen Publizisten Sebastian Haffner fällt in diese Kategorie. Er ist ganz nett und charmant, ihn aber als „Ereignis“ zu feiern, wie es der Hanser-Verlag auf dem Buchrücken tut, ist stark übertrieben. Darüber können auch die dort lobend hinzugefügten Worte von Mariana Leky, Uwe Wittstock und Elfriede Jelinek nichts ändern.
Haffner war als liberalkonservativer Freigeist eine publizistische Größe in der alten Bundesrepublik. Er schrieb Bestseller wie die 1978 erschienenen „Anmerkungen zu Hitler“ und begleitete die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauss mit „Anmerkungen eines Wechselwählers“. Seine 1939 im Londoner Exil verfasste, aber erst ein Jahr nach seinem Tod veröffentlichte Autobiografie „Geschichte eines Deutschen“ mit Erinnerungen an die Weimarer Republik und die ersten Jahre der NS-Zeit war posthum ein großer Erfolg.
„La Bohème“ ohne Tragik und Schwindsucht
Die Veröffentlichung seines 1932 entstandenen Liebesromans lässt sich bestenfalls mit der auf dem Buchmarkt grassierenden 1920er-Jahre Nostalgie erklären. Und natürlich mit dem finanziellen Sentiment der Erben, kaum aber mit der mäßigen Qualität dieses Buchs, dessen junge Protagonisten sich so oft wiederholen, als seien sie ein wenig senil.
„Abschied“ erzählt vom letzten Tag des Paris-Aufenthalts eines Berliner Rechtsreferendars. Sein Vorname ist Raimund, der Nachname Pretzel fällt erst nach vielen Seiten. Und so hieß auch Haffner, ehe er im englischen Exil ein Pseudonym wählte, das er aus Bachs zweiten Vornahmen und dem Widmungsträger einer Serenade von Mozart zusammensetzte.

Tatsächlich, so erklärt das Nachwort von Volker Weidermann, trägt der Roman autobiografische Züge. Auch die im Roman trotz aller Bemühungen blass bleibende Geliebte Teddy scheint es wirklich gegeben zu haben: Haffner war mit der später in Schweden lebenden Frau bis zu seinem Lebensende in Kontakt. Aber es passiert nichts so Kompromittierendes, als dass der Roman deswegen so lange unter Verschluss hätte bleiben müssen.
Bürgerkinder in Paris
Denn der Inhalt bleibt banal. Der Leser treibt sich mit einigen deutschen Bürgerskindern herum, die - mehr oder weniger - an der Sorbonne studieren und im Quartier Latin ein Bohème-Leben genießen, wie man es aus Puccinis Oper kennt. Nur ohne jede Dramatik und Schwindsucht. Einmal bloß fiebert jemand etwas erkältet, weil eine Saufnacht im Februar ohne Hosen in einem Brunnen endete.

Der Ich-Erzähler bewegt sich in einer seltsamen Blase anderer Deutscher und ein paar Briten. Franzosen treten nur als Kellner oder Vermieter auf. Er liebt die erotisch anziehende Teddy, der nach eigener Ansicht eine Zukunft als „Tippse“ oder Ehefrau bevorsteht. Aber irgendetwas steht zwischen ihnen. Zu einem Antrag kann er sich nicht durchringen. Und seine Gefühle werden auch nur maßvoll erwidert.
Tee und Krieg
Am letzten Tag des Aufenthalts arbeitet Raimund rasch bisher versäumte touristische Hotspots ab, die ihn und die anderen eigentlich nicht interessieren. Dort macht er bis heute gültige Erfahrungen: Die Cafés im Eiffelturm sind Nepp-Lokale, der Louvre ist überfüllt und für kunsthistorisch Desinteressierte letztendlich langweilig.
Raimund vergleicht verschiedene Tee-Sorten mit Entwicklungen der Kriegsgeschichte, einer seiner Bekannten steigert sich in die Vorstellung hinein, Paris mit Flammenwerfern niederzubrennen. Jeder Leser dürfte stutzen, wenn Raimund die Unordnung seines Koffers mit einem Konzentrationslager vergleicht. Aber der Begriff war schon vor den Nazis im Umlauf, und auch sonst taugt der Text nicht zur Prophetie des Kommenden.

Musikalisch interessierte Leser mögen sich wundern, dass auf einer Doppelseite der heute Li Bai bezeichnete chinesische Lyriker Li-Tai-Po in der gleichen Nachdichtung von Hans Bethge zitiert wird, die auch Gustav Mahler im „Lied von der Erde“ vertont hat. Aber das war’s auch schon.
Wer das Paris der Zwanzigerjahre noch einmal erleben möchte, bleibt mit Ernest Hemingways „Paris - Ein Fest fürs Leben“ entschieden besser bedient. Der Amerikaner hat es wirklich krachen lassen, während Raimunds brave deutsche Spießer-Exzesse im Rauch roter Gitanes gipfeln.
Sebastian Haffner: „Abschied“ (Hanser, 192 Seiten, 24 Euro).
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