Atomares Abrakadabra: 2025 ist das Jahr der Quantenphysik

Vor 100 Jahren hat sich bahnbrechendes in der Physik getan. Ohne die Forschung von Max Planck und Albert Einstein, Niels Bohr oder Werner Heisenberg wäre unser modernes Leben so nicht denkbar. Vom Smartphone bis zur LED. In seinem neuen Buch "Quantenlicht" taucht Thomas de Padova in die 1920er Jahre ein, die auch in der Wissenschaft ziemlich wild waren. Ein Gespräch über Quantensprünge, grinsende Katzen und die Erkenntnis, dass ein großer Wurf nur im Team gelingt.
AZ: Herr de Padova, kaum einer kapiert's und doch haben einige Begriffe aus der Quantentheorie in den Alltag gefunden. Der missverstandene Quantensprung zum Beispiel.
THOMAS DE PADOVA: Ein Quantensprung ist keine große Sache, sondern etwas ganz Winziges. Oft ist es sogar die kleinstmögliche Änderung eines physikalischen Zustands. Dennoch hat die Metapher etwas für sich, denn das Wesentliche am Quantensprung ist die abrupte Änderung. Plötzlich wird ein neues Level erreicht.
Man hat immer noch die Vorstellung, in der Natur läuft alles nach Plan. Auch da scheint vieles sprunghaft abzulaufen?
Mit dieser überraschenden Unstetigkeit der Natur haben Forscher wie Max Planck lange gerungen. Sie markiert den Anfang der Quantentheorie. Außerdem lauert im Innersten der Materie der Zufall. Zu welchem Zeitpunkt es nämlich zu einem Quantensprung kommt, wann ein Atom zum Beispiel unter Aussendung von Licht seinen Energiezustand ändert, lässt sich nicht vorhersagen. Genauso wenig wie der radioaktive Zerfall eines Atomkerns. Albert Einstein hat diese statistischen Zusammenhänge als erster Forscher erkannt und ist daran schier verzweifelt.
In Ihrem neuen Buch steht das Licht im Zentrum, weshalb?
Ich gehe deshalb vom Licht aus, weil wir im 21. Jahrhundert in eine neue Ära der optischen Technologien eingetreten sind. Ihr Herzstück ist der Laser. Das lädt dazu ein, die Entstehung der Quantenphysik einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Vor hundert Jahren wurde nicht nur der Aufbau des Atoms entschlüsselt. Parallel dazu rückte die Frage "Was ist Licht?" ins Zentrum der Wissenschaft.

Hat das nicht auch Max Planck auf die Sprünge geholfen?
Planck versuchte, jene Strahlung mathematisch zu beschreiben, die Körper aufgrund ihrer Wärme aussenden.
Also, dass Objekte ihre Farbe je nach Temperatur verändern?
Ja. In einer Kerzenflamme sieht man solche unterschiedlichen Farben sehr schön. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessierten sich Physikerinnen und Physiker vor allem für das künstliche Licht der Bogenlampen oder Glühbirnen. In Metropolen wie Berlin machte das elektrische Licht die Nacht zum Tage. Allerdings verwandeln Glühbirnen nur einen geringen Teil der Energie in sichtbares Licht. Den größten Teil ihrer Strahlung nehmen wir gar nicht wahr. Nicht zuletzt solcher Energieverluste wegen wollte Planck das komplette Strahlungsspektrum verstehen. Das gelang ihm mit seiner berühmten Strahlungsformel unter der Annahme, dass ein leuchtender Körper seine Energie nicht in beliebig kleinen Mengen abgeben kann, sondern stets nur in diskreten Energieportionen, in Quanten.
Dann haben Quanten eine klar definierte Größe?
Das zeichnet sie aus. Aber Plancks Energiequanten waren ein rein rechnerisches Hilfsmittel. Erst Einstein machte Lichtquanten daraus. An ihre Existenz wollte niemand glauben. Denn die Indizien dafür, dass Licht Wellencharakter besitzt, waren überwältigend. Von 1923 an trat der Teilchencharakter, den Licht bei manchen Experimenten zeigt, allerdings immer deutlicher zutage.
Rätselhafte Eigenschaften wie der Spin
Was ist ein Teilchen? Oder darf man ein Quäntchen sagen?
Genau darum drehte sich die berühmte Solvay-Konferenz in Brüssel im Jahr 1927, bei der Lichtquanten erstmals als Photonen bezeichnet wurden: Sind solche Photonen, wie ihr Name suggeriert, den Elektronen irgendwie ähnlich? Sie haben doch nicht einmal eine Masse. Und inwiefern ist ein Elektron ein Teilchen, wenn es in manchen Experimenten Welleneigenschaften aufweist? Bei Quanten oder Quäntchen, wenn Sie so wollen, versagen unsere gewohnten Kategorien und Bilder. Man spricht von der Welle-Teilchen-Dualität. Darüber hinaus sind Quanten ununterscheidbar, sie verhalten sich, statistisch gesehen, merkwürdig und haben rätselhafte Eigenschaften wie den Spin.
Einen Drehimpuls?
Für den Spin gibt es keine Entsprechung in unserer Alltagswelt. Es handelt sich dabei um ein reines Quantenphänomen.
Da wäre noch so ein atomares Abrakadabra: Quanten können gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein. Wie das?
Die Welle-Teilchen-Dualität ist für uns ein Abrakadabra. Wenn die gemeinhin als Partikel gedachten Elektronen daherkommen wie ausgedehnte, sich ausbreitende Wellen, geraten wir ins Grübeln. Wir können unsere klassische Teilchenvorstellung und unsere raumzeitlichen Bilder schwer abschütteln. Einstein sagte am Ende seines Lebens, 50 Jahre des Nachdenkens hätten ihn einer Antwort auf die Frage, was Lichtquanten sind, nicht nähergebracht. Kurzum: Auf die scheinbar einfache Frage, was ein Teilchen ist, hat die Wissenschaft bis heute keine Antwort.

Man verbindet die 20er Jahre mit dem großen kulturellen Aufbruch und mit neuen Freiheiten. Mit dem Dadaismus kam das Absurde, Chaotische in die Kunst. War diese Offenheit im Denken vielleicht auch eine Voraussetzung für den großen Sprung in der Quantenforschung?
Dada war eine Reaktion der Kunst auf den Ersten Weltkrieg. Zur selben Zeit entstand Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die in den Nachkriegsjahren oft mit dem Dadaismus verglichen wurde. Einsteins überraschender Durchbruch wirkte auf die theoretische Physik wie ein Befreiungsschlag. Gerade die junge Generation stürzte sich begeistert auf seine Schriften und zeigte sich dann dazu bereit, auch in der Quantentheorie alte Gewissheiten über Bord zu werfen. Das kulturelle Klima der Zwanzigerjahre trug sicher dazu bei.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Quantentheorie als Ergebnis einer länderübergreifenden Zusammenarbeit. Dabei waren doch deutsche Forscher bis 1927 von internationalen Konferenzen ausgeschlossen.
Niels Bohr, der Begründer des nach ihm benannten Atommodells, nahm direkt nach dem Krieg Einladungen nach Berlin und Göttingen an. Er brach das Eis. Und Einstein hielt seinerseits die Verbindung nach Frankreich aufrecht. Man beschimpfte ihn als Franzosenfreund. Nach dem Mord an Außenminister Walther Rathenau im Sommer 1922 musste er untertauchen, weil man ihm nach dem Leben trachtete. Kurz vor dem Hitlerputsch im November 1923 floh er Hals über Kopf nach Holland. Doch nur als "Franzosenfreund" konnte Einstein 1925 zum Geburtshelfer der Materiewellen werden und einen völlig neuartigen Materiezustand vorhersagen: das in den 1990er Jahren erstmals nachgewiesene Bose-Einstein-Kondensat.
Schrödingers Katze
Welche Rolle hat die Persönlichkeit der Forscher gespielt?
Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Nicht nur im Hinblick auf den Freigeist und Eigenbrötler Einstein. Selten hat es wohl einen derart charismatischen Forscher gegeben wie den Dänen Niels Bohr. Lise Meitner sprach von dem Glück, einem solchen Wissenschaftler zu begegnen. Einstein bezeichnete ihn als höchst feinfühliges Kind. Und Werner Heisenberg beschrieb ihn als den einzigen Gelehrten, der auch seiner Mama gefallen würde. Er selbst wolle später einmal genauso werden wie Bohr. In Kopenhagen gründete Bohr das neben Göttingen bedeutendste Forschungszentrum für Quantentheorie. An beiden Orten wurde Teamwork großgeschrieben.
Wie passt das zum Durchbruch der Quantenmechanik auf Helgoland? Werner Heisenberg wollte dort 1925 seinen Heuschnupfen auskurieren, dabei sei ihm in einer schlaflosen Nacht ein Licht aufgegangen.
Heisenberg selbst hat diesen Mythos in die Welt gesetzt. In meinem Buch lege ich anhand der Quellen dar, dass sowohl der Weg zu einer neuen Atomtheorie, der Quantenmechanik, als auch der Weg zur später so genannten Heisenbergschen Unschärferelation typische Ergebnisse dieses Teamworks waren.

Nun leben wir seit 100 Jahren mit der Quantenphysik - sind die Auswirkungen nicht unglaublich?
Sie durchdringt unseren gesamten Alltag. Ohne Quantenphysik kein Smartphone, kein Computer, keine Datenkommunikation über Glasfasernetze, keine Solarzellen, keine LED. Und ohne den Laser, ohne Quantenlicht, wären viele medizinische Eingriffe unmöglich. Tagtäglich beheben Augenärzte mit dem Laser Kurz- oder Weitsichtigkeiten. Sie setzen Laser bei Operationen des grauen Stars oder der Netzhautablösung ein.
Gibt es überhaupt noch Hightech, die ohne Quantenphysik auskommt?
So gut wie keine, Panzer und Kampfdrohnen eingeschlossen. Einsteins Diktum, die moderne Technik sei wie die Axt in der Hand des Verbrechers, bewahrheitet sich leider immer wieder. Auch die Filmaufnahmen, die uns heutzutage über Autokameras und Camcorder unmittelbar von den Kriegsschauplätzen erreichen, gäbe es ohne Quantenphysik nicht.
Nach dem Hype um die Künstliche Intelligenz scheint Quantencomputing das neue Zauberwort zu sein?
Ein Zauberwort, ja. Sehr viele Forscherinnen und Forscher brüten gegenwärtig darüber. Aber was die Menschheit aus ihrer großen Erfindungsgabe machen wird, bleibt abzuwarten.
Fast hätten wir Erwin Schrödingers vielzitierter Katze vergessen. Worum geht's?
Es ist der gedankliche Versuch, unsere Alltagswelt auf möglichst direktem Weg mit der Quantenwelt kurzzuschließen. Das ungewisse Schicksal von Schrödingers in einer Box eingesperrten Katze, tot oder lebendig, hängt letztlich am Zerfall oder Nicht-Zerfall eines radioaktiven Atoms. Über die Interpretation dieses Gedankenexperiments kann die Wissenschaft bis heute herrlich streiten - wie über die Interpretation der Quantenphysik im Allgemeinen. Einstein war in seinen späten Jahren ständig von Katzen umgeben. Er sagte einmal, die Annahmen der modernen Physik glichen dem Lächeln einer Katze, die gar nicht da ist.
Thomas de Padova: "Quantenlicht. Das Jahrzehnt der Physik 1919-1929" (Hanser Verlag, 336 Seiten, 28 Euro)