Interview

Annabel Wahba im Interview: "Sprache ist die wirkliche Heimat"

Annabel Wahba stellt ihre Familiengeschichte "Chamäleon" im Literaturhaus vor.
von  Volker Isfort
Die Journalistin und Autorin Annabel Wahba.
Die Journalistin und Autorin Annabel Wahba. © Nora Hollstein

Zwischen Oberbayern und dem Nildelta entfaltet die deutsch-ägyptische Journalistin Annabel Wahba ihre dramatische Familiengeschichte. In ihrem bewegenden Buch "Chamäleon" erzählt sie von verschiedenen Formen der Anpassung an eine neue Umgebung.

AZ: Frau Wahba, der Erzählrahmen Ihres Buchs ist ein sehr trauriger, der Tod Ihres Bruders.
ANNABEL WAHBA: Diese Erfahrung war der Anlass, "Chamäleon" zu schreiben. Mein Bruder ist als einziger von uns vier Geschwistern in Kairo geboren und nie wieder nach Ägypten zurückgekehrt. Bevor er starb und schon eine Krebserkrankung überstanden hatte, wollte er mit uns allen nach Kairo fahren. Aber die politische Situation war wirklich kompliziert. Als er dann doch unerwartet schnell gestorben ist, habe ich es sehr bereut, dass wir den gemeinsamen Besuch nicht mehr unternommen haben. Ich hatte den Wunsch, diese Reise wenigstens in Gedanken zu unternehmen und so entstand das Buch. Mein Bruder ist derjenige von uns Geschwistern, der am konsequentesten in Deutschland angekommen war. Er hat sich wirklich komplett angepasst in Erding, wurde sogar Geschäftsführer des dortigen CSU-Ortsverbandes.

"Ich fand Kairo zwar unfassbar stressig, aber auch ungeheuer faszinierend"

Sie beschreiben den Besuch der Tutanchamun-Ausstellung im Haus der Kunst im Jahr 1981 als Ihr persönliches Erweckungserlebnis.
Da wurde mir als junges Mädchen zum ersten Mal richtig bewusst, was es bedeutete, ägyptische Wurzeln zu haben. Ich habe ein bisschen Stolz empfunden und eine Begeisterung für das Thema entwickelt. Meine Eltern haben damals den Katalog gekauft, den ich mir immer wieder angeschaut habe. Ich fand das Thema wahnsinnig spannend.

Warum sind Sie dann erst im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal in das Land Ihres Vaters gefahren?
Wir konnten vorher nicht hin, weil meine Eltern 1968 Hals über Kopf aus Ägypten ausgereist waren, sie hatten den Sechstagekrieg miterlebt und sorgten sich vor einem neuen Krieg. Mein Vater hatte Ende der 50er Jahre ein staatliches Stipendium für Deutschland gehabt und musste danach in Ägypten arbeiten. Er hätte das Land eigentlich nicht verlassen dürfen, Ägypten war damals sozialistisch. Meine Eltern haben ein Schlupfloch genutzt, ein Urlaubsvisum, um auszureisen und sind dann lange nicht mehr zurückgefahren. Als ich mit 17 zum ersten Mal da war, hat das sehr viel ausgelöst in mir, weil die Verwandtschaft uns so begeistert aufgenommen hat. Ich fand Kairo zwar unfassbar stressig, aber auch ungeheuer faszinierend.

Haben Sie sich in Ihrer Kindheit in Erding als fremd empfunden?
Nein, letztlich aber sind mir durch das Schreiben und das Nachdenken über die Kindheit schon Dinge aufgefallen, die ich damals nicht bemerkt habe. Wir sahen zwar anders aus als die anderen Kinder, aber wir haben uns nicht anders gefühlt, weil wir auch nicht anders sein wollten. Ich habe zum Beispiel nie Arabisch gelernt. Meine älteren Geschwister haben in Deutschland bewusst entschieden, nicht mehr Arabisch zu sprechen, weil sonst die anderen Kinder so komisch schauten. Ich habe für das Buch den Titel "Chamäleon" gewählt, weil sich in meiner Familie schon immer alle angepasst haben, auch der deutsche Teil. Das begann schon bei meiner Mutter im Zweiten Weltkrieg, als sie aus München nach Steinkirchen - ein bayerisches Dorf - gebracht wurde und sich total anpassen musste. In meinem Fall war es ein unbewusster Anpassungsprozess, es gab in meinem Erdinger Umfeld auch keine anderen Role Models, an denen ich mich hätte orientieren können. Ich habe an der Deutschen Journalistenschule in München mit 20 Jahren das erste Mal überhaupt jemanden kennengelernt, der halb deutsch und halb arabisch war wie ich.

"Der Begriff Heimat ist in meinen Augen überstrapaziert"

Sie holen weit aus mit dramatischen Erzählungen aus dem Leben Ihrer Großeltern in Bayern einerseits und im Nildelta andererseits. Es dauert, bis Sie von sich erzählen.
Ich wollte einen Familienroman schreiben, der zeigt, dass heute deutsche Familien eben nicht so sind, wie sie noch vor 50 Jahren waren. Wir sind einfach eine neue deutsche Familie, die auf zwei verschiedenen Kontinenten ihren Ursprung hat. Ich denke, dass man die deutsche Identität nicht nur an der Herkunft der Eltern festmachen kann. Ich wollte aufschreiben, wie die Stränge zusammenkamen, wie meine Mutter in den 60er Jahren in München einen jungen Ägypter kennenlernte und zunächst mit ihm in Ägypten eine Familie gründete. Ursprünglich wollte ich auch gar nicht so sehr über mich schreiben, sondern mehr über die Familie, aber irgendwann geht es dann nicht anders, man kommt dann man halt bei sich an.

Wie wichtig sind eigentlich für Sie die Begriffe Herkunft oder Heimat?
Der Begriff Heimat ist in meinen Augen überstrapaziert. Ich könnte auch gar nicht sagen, wo die sein sollte. Vom Bauchgefühl her ist das vielleicht doch Bayern, vor allem sind es die Berge, dort fühle ich mich immer Zuhause. Ich bin mal monatelang durch Südostasien gereist und hab nur Englisch gesprochen. Nach sechs Wochen traf ich auf eine deutsche Frau und wir haben dann Tag und Nacht durchgeredet. Ich glaube, die Sprache ist die wirkliche Heimat, sie stiftet mir die Identität.

Aber Herkunft spielt schon eine Rolle, das haben Sie gemerkt, als sie mit ihrem damaligen israelischen Freund in Tel Aviv gelebt haben.
Die Zeit in Israel hat mich meiner ägyptischen Identität sehr nahe gebracht. Wenn man halb arabisch ist, wird man schon bei der Ein-und Ausreise anders behandelt und muss viele Fragen beantworten. Und im Land ist der Konflikt mit den Palästinensern natürlich omnipräsent, dem kann man gar nicht ausweichen. Da habe ich gemerkt, dass ich oft zwischen den Stühlen sitze.

Warum nennen Sie Ihre Familiengeschichte einen autofiktionalen Roman?
Ich arbeite sonst als Journalistin. In meinen Reportagen bilde ich die Wirklichkeit ab und bin der Wahrheit verpflichtet. Mein Roman ist zwar stark von meinen Erlebnissen inspiriert, aber viele Szenen sind erfunden. Beispielsweise die aus der frühen Kindheit meines Vaters im Nildelta. Es ist tatsächlich so, wie ich auch im Buch schreibe, dass er sehr krank wurde und die Mutter ihren Schmuck verkaufen musste, um den Arzt zu bezahlen. Aber mehr als das wusste ich nicht, jede Ausschmückung wird dann Fiktion.


Annabel Wahba stellt "Chamäleon" (Eichborn Verlag, 286 Seiten, 23 Euro) am 13. Oktober beim "Herbst-Mix" mit den Autoren Kerstin Brune und Simon Schwartz um 20 Uhr im Literaturhaus vor. Karten unter Telefon 01806 700 733

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