Brahms und Brotzeit
Am Samstag begann am Marstallplatz das Klassik-Open-Air mit Kent Nagano
Von Christa Sigg
WollenS’ ned a Glasl Wein?“ Mitten auf dem Marstallplatz haben es sich Helga und ihre Freundin beim Picknick bequem gemacht – auf einer Iso-matte, die die Kälte der am Freitag noch glühend heißen Pflastersteine gut abwehrt. „Aber wir lassen uns sowieso von nix abschrecken. Seit es ,Oper für alle’ gibt, sind wir dabei“. Die beiden Flugbegleiterinnen haben sogar noch die Regenhäute, die beim ersten Mal verteilt wurden.
Inzwischen sind die Schutzhüllen eine Rarität und Erkennungsmerkmal der Hardcore-Fraktion. Am Samstagabend durften sie allerdings im Korb bleiben. Kein einziger Tropfen fiel während des Festspielkonzerts vom Himmel.
Die Erklärung ist für Frank Bloedhorn denkbar einfach: „Wir Blechbläser haben mal wieder die dunklen Wolken weggeblasen. Wäre ja nicht das erste Mal“, grinst der Trompeter. „Natürlich ist die hohe Luftfeuchtigkeit nach so einem Regentag vor allem für die Streicher ein Problem, und wir müssen bei der Intonation höllisch aufpassen. Aber als Profi sollte man das draufhaben.“ Für ihn und seine Kollegen blieb trotzdem noch genug Raum, die Atmosphäre auf dem Platz zu genießen. „Wenn das Publikum gut drauf ist, dann kann das ungemein beflügeln.“
Nun, die Zuhörer, die sich so wundersam vermehrten wie der Regen ausblieb, waren gut drauf. Und Kent Nagano zog alle Register. Das war schon beim herzhaften Auftakt von Attacca mit Brahms’ „Akademischer Festouvertüre“ klar. Die Jugend-Crew des Staatsorchesters – der Jüngste ist erst zwölf – klang zwar noch ein bisserl nach Konserve, aber das hatten die Tontechniker dann bei Charles Ives in den Griff bekommen. Mit dem Amerikaner ging’s im Tanzschritt auf eine launige Reise in die Neue Welt: Die Weiten der Prärie breiteten sich aus (mit Ivesschen Längen), passend zu den Pferde-Medaillons am Marstall. Und zum atmungsaktiven Funktions- bis Landlord-Outfit der Open-Air-gestählten Musikfans.
Dabei gab sich Ives in dieser ersten Sinfonie noch einigermaßen europäisch, Mendelssohn und Dvorák ließen grüßen. Und manchmal kam einem bei dieser feinen Landschaftsmalerei schon der nächste Kandidat in den Sinn. Der Neu-Münchner Kent Nagano – die Familie tauschte just die Seine gegen die Isar – zog seinen Hut vor dem Ur-Münchner Richard Strauss. Und spannte mit „Don Juan“ und den „Vier letzten Liedern“ einen vielsagenden Bogen zwischen den temperamentvollen Anfängen des Komponisten und einem traumversunkenen Altersresümee.
Für Klassik-Greenhorns waren diese reifen Lieder nicht die leichte Kost, die sie womöglich erwartet hatten, doch auf dem Platz dominierte Aufmerksamkeit. Und genervte Kapellmeister hätten an diesem halskrankheitenfreien Picknick-Publikum ihre Freude gehabt. Soile Isokoski, die Einspringerin für Anja Harteros, fesselte mit samtig-sattem Sopran, bronzenen Höhen und exquisiter Diktion. Dazu ließ Nagano seine Staatsmusiker und besonders die Streicher auch mal in Strauss-Sahne schwelgen. Was trotzdem transparent über den Platz wehte. Und sich auf eigentümliche Weise mit einer Salve Steak-Duft vermengte.
Passend dazu machte auf der Isomatte Rotwein die Runde. Und Nagano bekam zum Strauss-„Abendrot“ wenigstens Scheinwerfer-Pink. Oder war’s doch Rosa? Egal. Die Schoki mit rosa Pfeffer schmeckte jedenfalls prima.