Brahms für Schildkröten
Das Akademiekonzert des Staatsorchesters unter Kent Nagano mit Unsuk Chin, Schubert und Brahms
Kent Nagano mag sie. Deshalb durfte die koreanische Komponistin Unsuk Chin mit „Alice im Wunderland“ vor zwei Jahren die Festspiele eröffnen und nun als europäische Erstaufführung ein Werk präsentieren, das vom Staatsorchester mit dem Montreal Symphony Orchestra in Auftrag gegeben worden war.
Der Sanskrit-Titel „Rocaná“ bedeutet „Lichtraum“. In einer kurzen Ansprache überließ es Kent Nagano dem Publikum, sich seinen Reim darauf zu machen. Ohne die Inhalte überzubewerten: Chin gelingt es, mit Riesenaufwand überraschende Klangeffekte zu erzielen, die umso mehr Eindruck machen, je weniger sie eitel lärmend um Aufmerksamkeit buhlen. Der plakative Stil mag mit der gestellten Aufgabe zu erklären sein, Licht und Schatten in Töne umzusetzen. Dass das 20 Minuten dauernde Stück bis zum Ende die Spannung halten konnte, beeindruckte mächtig. Das Publikum reagierte animiert, ohne auszuflippen.
Umrahmt wurde der Ausflug in die Moderne mit Mainstream. Schuberts „Unvollendete“ überzeugte im zweiten Satz, den Nagano, wie es sich gehört, als Andante musizieren ließ und nicht sentimental verschleppte. Der Flop kam nach der Pause. Brahms für Schildkröten: die dritte Symphonie lasch, ohne lyrisches Feuer – da war nun wirklich mehr drin.
Volker Boser