Bolzplatz mit Perspektiven
Erstmals sind in einem Kunstmuseum Dokumentarfilme zu sehen – in einer gemeinsamen Schau der Pinakothek der Moderne und der Hochschule für Film und Fernsehen
Subjektiv. Das hat so einen Beigeschmack. Zumindest für Leute, die auf Fakten, Fakten, Fakten stehn und dabei gerne übersehen, dass selbst das Spiel mit nüchternen Tatsachen nie objektiv sein kann. Und gerade das Subjektive erzählt oft am meisten von der Wirklichkeit. Auch das ist eine Erkenntnis, die man derzeit in der Pinakothek der Moderne gewinnt – in einem Großaufgebot an Dokumentarfilmen unter dem Titel „Subjektiv“.
Damit stellen sich übrigens gleich die künftigen Nachbarn vor: Die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) zieht zwar erst in einem guten halben Jahr ins monströse neue Domizil an der Gabelsbergerstraße. Doch schon jetzt, bei der ersten gemeinsamen Schau, wird deutlich, dass im Tête-à-Tête von Filmuni und Kunstmuseum beträchtliches Potenzial steckt. Das ohne den Glamour der üblichen Filmevents auskommen dürfte.
Zwei Künste ganz nah
Dafür bietet das Kino im Bildertempel ganz andere Möglichkeiten. Ungezwungen kann man hier von Film zu Film schlendern oder sich’s zwischendurch in Sofanischen bequem machen, die fast schon wie kleine Privatkinos anmuten. 88 Exemplare haben die Kuratoren ausgewählt, Bernhart Schwenk von den Staatsgemäldesammlungen und Heiner Stadler, Dokufilm-Professor an der HFF. Entstanden sind die Streifen in den vergangenen zehn Jahren im Umfeld der Hochschule. Und das Spektrum zwischen einem knackigen 3-Minuten-Geräusch-Mini und der 99-Minuten-Wegbestimmung von sechs Bassisten im Exil ist beträchtlich.
Während auf dem einen Laptop ein kleines Mädchen auf dem Schwebebalken zum perfekten Radschlag gedrillt wird, bekreuzigt sich vier Screens weiter eine Zisterzienserin. Aus der Hörmuschel, die sich, wer mag, ans Ohr halten kann, dringen die hymnisch getragenen Akkorde einer Kirchenorgel. Natürlich, man muss den irren Wunsch nach Vollständigkeit abhaken, gerät schnell ins „somnambule Zappen“ und bleibt da stehen, wo’s interessant wird. Bei den kickenden Iranerinnen. Oder dem jungen Mann mit dem aufgedunsenen Gesicht. Chemotherapien hat er erduldet, bald wird er tot sein und noch mit einem Lächeln macht dieser Christian das Sterben als Teil des Lebens begreifbar. Schmerzlich.
Eine Idee von Ordnung suggeriert die Unterteilung in Leitmotive wie „Konflikt“ oder „Ritual“. Tatsächlich sind das allenfalls Anhaltspunkte. Und damit folgen die Studenten unbewusst Stadlers Credo. Denn ein guter Dokumentarfilm, sagt er, verfolge immer eine subversive Strategie. Wer sich von ein paar Vorurteilen lösen kann, wird bald merken, dass es kaum etwas Undogmatischeres gibt als eben den „Bolzplatz“ Dokumentarfilm. Das rückt ihn in beträchtliche Nähe zur bildenden Kunst. Und also läuft er – deutlich vor Mitternacht – in der Pinakothek am geradezu idealen Platz. Ganz objektiv gesehen.
Christa Sigg
Bis 20. Februar; Katalog 24,80 Euro. Im Rahmenprogramm wird täglich ein anderer Film gezeigt, an Donnerstagen diskutieren ehem. HFF-Studenten wie Doris Dörrie (9.12.).
- Themen:
- Doris Dörrie
- Pinakothek der Moderne