Bodenturnen mit Schubert

Staatstheater am Gärtnerplatz: Schuberts "Winterreise", etwas ziellos choreografiert von Hans Henning Paar
von  Abendzeitung

Staatstheater am Gärtnerplatz: Schuberts "Winterreise", etwas ziellos choreografiert von Hans Henning Paar

Am Ende liegt ein nackter Tenor im Schnee, während sein Kollege gerade noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen ist. Franz Schubert als Tanztheater, bildungsbeflissene Rätselstunde anstatt glamouröses Bodenturnen - da hat sich der Chefchoreograf des Gärtnerplatztheaters eine harte Nuss aufgetischt.

Weil die "Winterreise" zum Allgemeingut des Bildungsbürgers gehört, griff Hans Henning Paar auf die Instrumentierung des Klaviersatzes durch den Komponisten und Dirigenten Hans Zender zurück. Eine geradezu kongeniale Bearbeitung, die vieles beim Wort nimmt, was zu Schuberts Zeiten lediglich angedeutet werden konnte.

Die Musik exponiert sich, der Tanz versteckt sich

Etwa die dramatischen Brüche, hier dargestellt durch Instrumentations-Symbole wie Schlagzeug-Effekte, Windgeräusche, frei dazu erfundene Klänge, die mit aufreizender Nachdrücklichkeit allen romantisierenden Harmlosigkeiten den Garaus machen. Das Gärtnerplatzorchester unter Andreas Kowalewitz hatte eine Menge zu tun.

Leider aber versteckte sich Hans Henning Paars Versuch, die 24 Lieder des "Winterreise"-Zyklus zu einem Tanztheater-Stück zusammenzufügen, hinter genau jenen Klischees, die Schubert und Zender so bravourös umschifften. Zum "Lindenbaum" schaute man in eine heile Welt, auf weiche Bewegungen und später auf gelegentlich ironisierende Party-Stimmung. Das Ausdrucksvokabular pendelte zwischen klassischer Allüre und Musical. Die Gesten wiederholten sich. Der Bezug zu den einzelnen Liedern liess sich zwar erahnen, aber die Frage "Warum das Ganze?" blieb unbeantwortet.

Im Einvernehmen mit Zender hatte Paar zwei Tenöre aufgeboten (Robert Sellier und Ferdinand von Plettenberg), von denen der eine mehr, der andere weniger glänzte. Wie immer beim TanzTheater München war das von den Akteuren gezeigte Niveau bemerkenswert hoch. Lieke Vanbiervliet, David Valencia, Alex Frei, David N. Russo und die übrigen wurden von ihrer Fangemeinde denn auch mächtig gefeiert.

Hans Henning Paar muss sich damit trösten, dass er im Clinch mit dem Genie Schubert wohl nie eine Chance hatte. Doch wer nichts wagt, gewinnt auch nichts.

Volker Boser

Wieder am 19., 23. und 27. 1., Karten unter Tel. 2185 1960

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