Boandlkramer und Spinnen

Es geht entspannt zu. Das erstaunt, wenn man bedenkt, dass der Nachholbedarf immer noch groß ist: also sich zu treffen, echte und vor allem kaufbare Kunst vor Augen zu haben, von den Galeristen busselnd hofiert zu werden und ein bisschen zu fachsimpeln, um lässig zum Prickelnden überzugehen. Denn wie meistens während der Art tummeln sich die Temperaturen in Basel knapp unter dreißig Grad, und die Millionendeals sind sowieso längst gemacht.
Bereits am ersten VIP-Tag wurden 40 Verkäufe in mindestens siebenstelliger Höhe vermeldet. Bei David Zwirner erzielte ein Frühwerk von Gerhard Richter ("Versammlung" von 1966) 20 Millionen US-Dollar. Auch Georg Baselitz, Joan Mitchel, Pablo Picasso und Jeff Koons garantieren Spitzenpreise. 60 Millionen Dollar - das sind immerhin 55,3 Millionen Euro - brachte eine orange-gelbe Komposition von Mark Rothko ein. Melkkühe sind Louise Bourgeoises Spinnen - die größte krabbelte für 40 Millionen Dollar über den Galerietresen von Hauser & Wirth. Das ist die bislang teuerste verkaufte Skulptur einer Künstlerin.
Die streikenden Schweizerinnen, die diese Woche durch die Baseler Innenstadt marschiert sind und für Respekt und gleiche Entlohnung demonstriert haben, muss das nicht interessieren. Aber ein Zeichen ist es schon, wenn eine Frau auf dem Markt ganz weit vorn liegt, das heißt, in einer Zone, die gemeinhin den betagten, eher westlichen Männern vorbehalten ist und in der weder "Fördermaßnahmen" noch verordnete "Bemühungen um Ausgleich" greifen.
Sammler lassen sich nichts vorschreiben. Wenn sie freilich clever sind und in die Zukunft spekulieren, kaufen sie Kunst von Frauen. Die weiblichen Bluechips sind eh schon verteilt, und Anne Imhof, Roni Horn, Yayoi Kusama, Alice Neel und Konsortinnen an den Messeständen ganz passabel vertreten. Man darf sich aber auch nicht täuschen lassen, im großen Ganzen - vor allem beim älteren Angebot von den Expressionisten bis weit in die 1980er Jahre hinein - dominieren die Männer.
Basquiat stand unter Hochdruck - und malte wie im Rausch
Und nicht nur in einem Fall gehen die Schwerpunkte mit aktuellen Ausstellungen einher. Etwa Jean-Michel Basquiats "Modena Paintings" in der Fondation Beyeler im Basler Vorort Riehen. Acht, wenngleich großformatige Gemälde mag mancher dürftig finden, der Clou jedoch ist die Zusammenführung dieser außergewöhnlich kraftvollen Arbeiten aus dem Jahr 1982. Also der Phase kurz nach der Entdeckung - bei der Gruppenausstellung "New York, New Wave" im P.S. 1 Contemporary Art Center auf Long Island.
Die Besucher standen damals Schlange, wahrscheinlich, weil viele es wie Kurator Diego Cortez satthatten "weiße Menschen vor weißen Wänden mit Weißwein zu sehen". So ging es auch dem italienischen Galeristen Emilio Mazzoli, der Basquiat noch im selben Jahr die erste Einzelausstellung ermöglichte. Im zweiten Schritt lud Mazzoli den 22-Jährigen nach Modena ein, um in einer Lagerhalle zu malen. Basquiat fand vier mal zwei Meter große Leinwände und fiel bald in einen Schaffensrausch.
Was den schwer Drogenabhängigen sonst noch beflügelt hat, will man gar nicht wissen. Allerdings fühlte sich Basquiat vom Galeristen getrieben - in einer Woche sollte er acht Gemälde fertigstellen: "Ich hasste es", erinnert er sich später. Es kam zum Streit und damit zum Ende des Projekts. Mazzoli zahlte für die acht Arbeiten und gewann dadurch heiß begehrte Ware, die mittlerweile auf drei Kontinente verteilt ist.
In Riehen füllen sie nun den Hauptraum, und man weiß kaum, wohin zuerst schauen. So fulminant tanzen die Skelette, so verrückt mischen sich Heiligenschein und Dornenkrone mit Kritzeleien, Klomännchen und kryptischen Zahlenkombinationen. Sind wir noch auf Erden? Oder schon im Jenseits bei Teufeln, Höllenhunden und Boandlkramern? Und als hätte Basquiat es geahnt, taucht gleich im ersten Bild "The Guilt of Gold Teeth" ein deutliches Dollarzeichen auf.
Ein winziger Chillida und ein irrer Nebel von Thomas Ruff
Just dieses Gemälde erzielte vor anderthalb Jahren bei Christie's 40 Millionen US-Dollar. Mit 22 und 23 Millionen Dollar nur halb so teuer sind dagegen die beiden Basquiats bei Van de Weghe auf der Messe. Ja, das sei irre, sagt ein Mitarbeiter, aber so etwas würde so schnell nicht wieder auf dem Markt kommen. Bei einer Zeichnung des jung dahingerafften Malers begnügt sich die Vedori Gallery aus Brüssel mit 800 000 Euro. Papierarbeiten sind was für den Einstieg, heißt es so schön.
Und die Münchner? Raimund und Tochter Silke Thomas machen diesmal "En Petit". Doch gerade die Kleinformate ziehen Interessenten an, die Auswahl mit Beckmann, einem Jawlensky-Kopf für 685 000 Euro, Poliakoff oder einem Mini-Chillida ist ja auch erlesen. Daniel Blau vertraut auf den Marktwert von Vater Baselitz und hat ein bemerkenswertes Diptychon am Stand. Rüdiger Schöttle setzt auf seine üblichen Verdächtigen von Stephan Balkenhol (ein Zeitgenosse mit Weltkugel am Bein) bis zu Thomas Ruff, der durch einen Wandteppich mit einem bunten Formenstrudel verblüffend nahe am Kitsch entlang schrammt - oder den andromedavernebelten Weg zur Überlebensraumstation aufzeigt. Es geht jedenfalls immer noch aufwärts. Nur wohin, weiß keiner.
Art Basel bis Sonntag, 18. Juni 2023, Basquiat in der Fondation Beyeler, Riehen, bis 27. August 2023