Blutiges Geschichtsbuch
Bernd Eichingers Mega-Film "Baader-Meinhof-Komplex" soll den deutschen Terrorismus möglichst authentisch dokumentieren. Regisseur Uli Edel inszeniert die Historie der RAF als detailreiches Kino-Event.
Was für eine schöne Überraschung“ sagt Jürgen Ponto, als er Susanne Albrecht in sein Haus lässt. Sie ist die Tochter eines Studienfreundes und wollte sich einfach mal wieder sehen lassen. Sie hat einen Blumenstrauß mitgebracht und zwei Freunde. Wenige Sekunden später ist Ponto tot. Die Kamera ist auf das Gesicht von Brigitte Mohnhaupt gerichtet, als sie abdrückt, fünf Mal. Dann sehen wir den sterbenden Ponto, viel Blut auf teurem Teppich. Es ist nur eine Baller-Szene von vielen, mit denen Bernd Eichinger den deutschen Terror zum Kino-Ereignis gemacht hat. 150 Minuten Film präsentiert er mit „Der Baader Meinhof Komplex“, der schon jetzt als deutscher Beitrag für den Oscar feststeht.
Kinostart ist der 25. September – das ist rund ein Jahr nach dem 30. Jahrestag des Deutsches Herbstes, der eine mediale Mega-Orgie war, einschließlich gesellschaftlicher Diskussion um Begnadigung und Freilassung der Terroristen heute. Was also will Eichinger jetzt Neues beitragen zur Interpretation dieser Zeit? Nichts, genau das ist sein Anspruch. Er will zeigen, wie es war, authentisch sein, um seiner selbst Willen. „Die Menschen zeigen sich über die Taten, die sie tun“, sagt Eichinger. „Entscheidend ist, dass sie es tun, und nicht warum sie es tun. Ich wollte, dass der Film Fragen stellt, ohne die Antworten mitzuliefern.“
Die Terroristen sollen keine Helden sein
Rein filmisch hat er da ein Problem, das er auch schon bei „Der Untergang“, dem Film über die Hitlers letzte Tage im Bunker hatte: Er hat keinen Protagonisten. Ein Spielfilm braucht einen Helden, mit dem man mitfiebern kann. Beim Untergang dominierte allenfalls der Thrill, Hitler so nah zu sehen, ihm aufs Maul zu schauen.
Bei „Der Baader Meinhof Komplex“ will der selbsternannte Entmythologisierer die Terroristen auf keinen Fall zu Helden machen – eine legitime Haltung. Andreas Baader ist trotz anfänglichem Cowboycharme immer an der Schwelle des Durchdrehens, ein cholerischer Brutalo. Gudrun Ensslin, perfekt gespielt von Johanna Wokalek, ist fanatisch, gnadenlos in der Fortführung ihrer Gedanken. Einzig Ulrike Meinhof ist es, an der der Film in der ersten Hälfte menschlich dran ist. Martina Gedeck gibt ihr Weichheit und Zweifel auf dem Weg in den Untergrund - das Innere dieser Frau bleibt aber Rätsel. Dokumentieren statt Interpretieren eben.
Das Detail ist das Ziel. Grundlage sind die Recherchen des RAF-Spezialisten Stefan Aust, der zeitgleich sein neues Buch vorgestellt hat. Eichinger filmt die Geschehnisse ab, scheinbar eins zu eins. An Original-Schauplätzen hat er gedreht, sodass die bekannten schwarzweiß-Fotos lebendig werden: Die Frau, die sich über den toten Benno Ohnesorg beugt, Rudi Dutschke, der nach den Schüssen in seinen Kopf die Schuhe auszieht. Ein blutiges, lautes Geschichtsbuch, Schulunterricht mit Action.
"Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nie waren!"
Die 119 Kugeln, mit denen Schleyers Begleiter niedergemetzelt wurden, hat Regisseur Uli Edel abgezählt, genau wie die 15 Schüsse auf Buback. Eine These, wer Schleyer erschossen hat, wagt der Film nicht. Für die Opfer, um die es im Film nicht geht, hat sich Uli Edel einen Trick ausgedacht: Die Kamera nimmt meist die Perspektive der Opfer ein – ein bisschen Statement.
Am reinen Dokumentieren musste Eichinger dennoch scheitern. Natürlich ist schon die Auswahl und Gewichtung der Szenen Interpretation. Ärgerlich ist aber, dass Eichinger mit der Figur des Horst Herold (Bruno Ganz) eine Art Über-Onkel eingeführt hat, der uns immer wieder die Meta-Ebene der Geschehnisse erläutert. Der Terroristenjäger des BKA doziert dann didaktisch wertvoll, dass auch der Staat selbst das Klima für den Terrorismus mitgeschaffen hat.
Und schließlich spricht Terroristin Brigitte Mohnhaupt mit ihrem Schlusssatz selbst die finale Einschätzung und Eichingers These aus. Nach Stefan Austs Recherchen wurde nach dem Tod der Stammheimer Terroristen in der Gruppe sehr offen ausgesprochen, dass es – entgegen aller Mythen - Selbstmord war. So darf Mohnhaupt am Ende zu ihren Genossen sagen: „Hört auf, sie so zu sehen wie sie nie waren. Sie waren nie Opfer.“
Tina Angerer