Biedermann mag Brandstifter
„Kannitverstan“?: Johann Peter Hebel: Der Bestseller-Autor des 19. Jahrhunderts ist etwas in Vergessenheit geraten. Zu seinem 250. Geburtstag entdeckt man auch seine Modernität wieder
Spannende Literatur ist Entgrenzung. Man liest auch um des Abenteuers willen. Und da ist es für die Fantasie auch hilfreich, wenn der Autor selbst etwas Genialisches hat. Spätestens im Sturm und Drang der Napoleonischen Zeit war der Geniekult geboren. Johann Peter Hebel (1760 – 1829) aber ist ein Spätgeborener, einer der letzten Vertreter der Aufklärung, Gymnasialprofessor und Theologe, der es bis zum Vorsitzenden der Landessynode bringt und Landtagsabgeordneter im Großherzogtum Baden wird. Auf den ersten Blick: ein badischer Biedermann! Aber weit gefehlt!
Wer einmal die „greuliche“ Geschichte vom Metzgershund gelesen hat, wird merken: Dieser Sohn eines Leinwebers und Soldaten und einer Hausangestellten hat Menschen auch in die Seelenabgründe geschaut, wenn da ein Bauernpaar aus Habgier den Metzger ermordet und das eigene Kind, weil es Zeuge war, zu Tode brüht! Hebel erzählt das brutal, ohne Umschweife. Und doch ist er kein Zyniker. Denn Gott hat diese Welt geschaffen und so ist sie letztlich gerecht: der Metzgershund erschnuppert die Bluttat, das Bauernehepaar wird hingerichtet.
250 Jahre nach Hebels Geburt am 10. Mai 1760 ist es stiller geworden um den Bestseller-Autor des 19. Jahrhunderts. Durch den Deutschunterricht kennen manche noch Hebels „Kalendergeschichten“, bürgerliche Kurzlektüre für den Feierabend, mit Erbaulichem, Wissenschaftlichem, Klatsch und Moralgeschichten. „Kannitverstan“ ist die berühmteste: die naive Reise eines jungen Mannes in die Großstadt Amsterdam, wo er vom vermeintlichen Reichtum überwältigt ist und doch lernt: üb immer Treu und Redlichkeit! Und: schaffe und sei mit deinem Schicksal zufrieden.
Ein Zeitgenosse
Also ist Hebel doch ein Biedermann? Nein. Wenn überhaupt, ist Hebel ein Biedermann mit einem Faible für Brandstifter. Was man nicht nur an seinen amüsanten Gaunergeschichten wie den „drei Dieben“ merkt, in der Zundelheiner, Zundelfrieder und der rote Dieter die bürgerliche Selbstzufriedenheit durcheinander wirbeln. Auch Hebel selbst ist kein Konservativer: Er legt sich mit Oberen an, versucht Schulreformen durchzusetzen – weniger Religion, mehr Bildung! Glaube und Vernunft sind für ihn als Lutheraner kein Widerspruch. Und er ist ein Vertreter moderner Pädagogik – nicht nur theoretisch. Hebel ist bei seinen Schülern beliebt, weil er sie ernst nimmt.
Das alles würde nicht reichen, um Hebel wiederentdecken zu wollen. Aber es gibt Aspekte, die uns Hebel heute näher erscheinen lassen als manche Zeitgenossen im Nationalrausch der Befreiungskriege. Hebel liebte seine Heimat, ohne national zu sein, dachte aufklärerisch global, aber handelte lokal. Durch ihn wurde der Dialekt – in „Alemannischen Gedichten“ – salonfähig als wahrer und schöner Ausdruck des Wesens der Menschen. „Ächte“ Popularität war für Hebel die Kunst, beim Schreiben zwischen gebildeter und ungebildeter Leserschaft keinen Unterschied zu machen.
Auch Hebels unbürgerlicher Lebensentwurf, Junggeselle – sprich Single – zu bleiben, scheint modern.
Zu Hebels 250. Geburtstag sind zwei Biografien erschienen. Beide – von Germanisten geschrieben – sind erzählerisch schön. Heide Helwig (Hanser, 24.90 Euro) ist auf 340 Seiten ausführlicher, lebt mit Hebel mit. Bernhard Viel ist auf 260 Seiten (C. H.Beck, 22.95 Euro) frecher und ordnet Hebel stark in die Zeitgeschichte ein.
Adrian Prechtel
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