Bibiana Beglau kommt, und wird alles anders

„Die bitteren Tränen der Petra von Kant”, inszeniert von Martin Kusej im Marstall
von  Mathias Hejny

„Die bitteren Tränen der Petra von Kant”, inszeniert von Martin Kušej im Marstall

Rainer Werner Fassbinder blieb, als er sein Stück 1972 mit Margit Carstensen in der Titelrolle und Hanna Schygulla als ihre Geliebte verfilmte, im Theater: Das Melodram spielt ausschießlich im Schlafzimmer.

Die Raumlösung, die Bühnenbildnerin Annette Murschetz für „Die bitteren Tränen der Petra von Kant” im Marstall fand, interpretiert die Intimität rund ums Bett etwas unfreundlich: Das Publikum ist aufgefordert, sich ähnlich einer Peepshow hinter einer Wand mit verglastem Sehschlitz zu verteilen. So wird nicht nur die Schaulust des Theaterzuschauers als Voyeurismus denunziert. Wer hier Platz nimmt, muss sich auf den halbverspiegelten Glasflächen vor sich auch noch selbst beim Glotzen betrachten.

Doch wenn die Neonröhren im Zuschauerraum aus- und das Licht im Inneren der Box angehen, wird der Blick frei auf einen Raum, der spontan überwältigt und und zugleich frösteln lässt. Flächendeckend und akkurat in Reih und Glied aufgestellt machen Schampusflaschen die Welt der Modedesigns zum zerbrechlichen Parcours. Aber nach viel Liebe und noch mehr Suff liegen nicht nur Scherben herum, sondern eine der Flaschen durchschlägt die Spiegelwand in Richtung Zuschauerraum.

Immer dann, wenn man glaubt, jetzt trägt Regisseur und Resi-Chef Martin Kušej doch zu dick auf oder die buchstäblich bis aufs Blut ausgelebte Leidenschaft droht in lesbischem Zickenalarm zu verkümmern, kommt Bibiana Beglau als Petra von Kant daher. Und alles wird aufregend anders. Kurze Monologe genügen, um ihre Enttäuschung von der Welt, ihren dennoch rücksichtslosen Furor, ihre selbstzerstörerischen Selbstironie, ihre unverhohlene Lust an Macht über Menschen und Restbestände ihrer Zärtlichkeit aus ihrer kantigen Physis explodieren zu lassen. Sensationell!

Was ihre Liebe zu Karin Thimm zu einer Zimmerschlacht macht, die sie verlieren muss, sind nicht nur Karins Jugend und Heterosexualität, sondern auch die Achterbahnfahrten, in denen Andrea Wenzl ihre Figur selbst schwindlig macht: Kalter Businessinstinkt, schlichte Prostitution oder doch, wenn schon nicht Liebe, zumindest eine tiefe Zuneigung?

Ratlos staksen Mutter Valerie von Kant (Elisabeth Schwarz), Tochter Gabriele (Elisa Plüss) und ihre beste Freundin Sidonie von Grasenabb (Michaela Steiger) in dieser unerbittlich gleißend ausgeleuchteten Beziehungskiste herum. Petras beredt stumme Haushälterin Marlene (Sophie von Kessel) hingegen nimmt es persönlich und hängt sich auf.

Bayerisches Staatsschauspiel, Marstall, heute, morgen, 20., 21. März, 19. bis 21. April, 20 Uhr, Karten Tel. 2185 1940

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