Bewusstsein auf Festplatte
Heute Premiere: Videokünstler Chris Kondek untersucht in „Übermorgen ist zweifelhaft // 2012“ Zukunftsmöglichkeiten
Der Weltuntergang hat schon viele seiner Vorhersagen untergehen sehen. Derzeit schießen die Szenarien wieder wild ins Kraut. Weil nach dem alten indianischen Maya-Kalender am 21. Dezember 2012 ein Jahrtausende alter Schöpfungszyklus endet, haben die Apokalypse-Propheten Hochkonjunktur. Was dran sein könnte an dem ganzen Geraune, interessiert den Videokünstler Chris Kondek, der seit 2004 mit seiner Lebensgefährtin Christiane Kühl auch eigene Theaterprojekte inszeniert. Die beiden fragen allerdings nicht nach dem Ende der Welt, sondern nach ihrer möglichen Zukunft. Ihre Performance „Übermorgen ist zweifelhaft // 2012“ hat heute im Neuen Haus der Kammerspiele Premiere.
Chris Kondek ist für seine Bühnen-Videokunst weltberühmt. Seinen Werdegang erzählt der 47-jährige Amerikaner aus Boston ganz beiläufig. Er studierte in New York Film, war Kamera- und Produktionsassistent und machte Lichtdesign für freie Theaterprojekte. Unter anderem für Laurie Anderson, Michael Nyman und die Wooster Group. Als deren Chefin Liz LeCompte ihm einen festen Job anbot, weil sie mehr mit Video arbeiten wollte, hängte der 26-Jährige die Filmkarriere an den Nagel.
Zehn Jahre arbeitete er für die Wooster Group. 1999 übersiedelte Kondek für die Journalistin und Dramaturgin Christiane Kühl, die er 1993 beim Festival „Theater der Welt“ in München kennengelernt hatte, nach Berlin.
Kondeks Videos schmücken u.a. Kammerspiele-Inszenierungen von Stefan Pucher und Jossi Wieler. Aber irgendwann wollte er sein eigenes Ding machen. Gleich das erste Projekt von Kondek und Kühl, die Börsenhandel-Performance „Dead Cat Bounce“, in der Zuschauer live mit ihrem Geld spekulieren können, wurde preisgekrönt und war 2006 in den Münchner Kammerspielen zu sehen. Inzwischen ist die Aufführung auch nach Japan und Korea eingeladen.
Ein Forscher-Ehepaar vernetzte seine Nervensysteme
Für ihr drittes gemeinsames Projekt auf Einladung der Kammerspiele lag das Thema Weltuntergang 2012 in der Luft und auf der Hand, obwohl Kondek und Kühl nichts von Roland Emmerichs Katastrophen-Film „2012“ wussten, der letztes Jahr herauskam. Viele Menschen sehen in 2012 ein Schicksalsjahr, das den Weltenlauf drastisch verändern wird. „Es gibt so viele Weltuntergangs- und Verschwörungstheorien, das fanden wir lustig, Wir wollten wissen, was wirklich passieren könnte, was sich entwickeln könnte“, sagt Kondek.
„Statt um den Weltuntergang geht es uns um mögliche radikale Veränderungen“, erklärt Kühl. „Im Maya-Kalender endet 2012 eine Schöpfungsepoche. Aber deswegen geht die Welt nicht unter, sondern etwas Neues beginnt. Was das sein könnte, darüber haben wir uns realistisch Gedanken gemacht.“
Um sich nicht in der Fülle der Möglichkeiten zu verzetteln, haben sich Kondek und Kühl im Zuge ihrer Recherchen auf künstliche Intelligenz konzentriert. Sie haben viele Interviews geführt, unter anderem mit einer Münchner Autorin, die ein Buch über den Maya-Kalender geschrieben hat, mit Erich von Däniken, der fest an eine Rückkehr der Außerirdischen glaubt, und mit dem umstrittenen Esoterik-Biophysiker Dieter Broers.
Der erwartet für 2012 eine extrem starke Sonnenaktivität, die das menschliche Bewusstsein auf eine Art LSD-Trip schicken und einen neuen Menschen mit Demut vor dem Kosmos hervorbringen werde. Esoteriker wie er glauben, dass die Wissenschaft 2012 vor einem großen Durchbruch steht, es einen Sprung in die fünfte Dimension geben und durch vernetztes Bewusstsein eine neue Spezies entstehen wird, die keinen Körper mehr braucht.
„Dank Craig Venters Genom-Entschlüsselung werden wir DNA nicht nur lesen, sondern auch schreiben“, sagt Chris Kondek. „Daraus werden Wissenschaftler eine neue Spezies entwickeln. Auch an der TU München arbeitet man daran, dass Roboter lernfähig werden und Gefühle ausdrücken können. Man kann so viel Maschinen-Intelligenz in Menschen integrieren, dass sie keinen Körper mehr brauchen. Das Hirn ist schließlich auch nur ein Rechner. Am Ende kann man das Bewusstsein auf eine Festplatte speichern.“
Kühl sieht darin Aufklärungs- und Unsterblichkeits-Fantasien. Aber es gibt schon Realisierungsversuche: Ein englisches Forscher-Ehepaar ließ sich kurzzeitig seine Nervensysteme vernetzen – bewegte einer die Hand, spürte es der andere. Der Mensch von morgen als körperlose Festplatte: Das würde nicht nur Rentenprobleme lösen.
Kondek und Kühl wollen viel Information vermitteln, „Fenster aufmachen“ zu unbekannten Wissensgebieten. Sinnlich machen sollen das auf der Bühne René Dumont als Faktenmensch und Walter Hess als Esoterik-Vertreter. Lena Lauzemis lernte, die Bühnentechnik zu fahren – sie liefert zum Teil auch den Soundtrack live. Zwischen den Video-Interviews spinnen die Schauspieler die Gedanken weiter, es gibt auch klassische Weltuntergangs-Texte, zum Beispiel aus der Offenbarung. Es bleibt abzuwarten, ob der Quantensprung zum Roboterbewusstsein der künstlichen Intelligenz die neue Offenbarung ist.
Gabriella Lorenz
Kammerspiele, Neues Haus, heute 20 Uhr, Tel.233 966 000
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