Besuch in der alten Heimat

Zum 175. Geburtstag der Alten Pinakothek ist Vermeers Meisterwerk „Frau mit der Waage” aus Washington eingeflogen
Christa Sigg |
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Ein bisschen blass ist sie um die lange Nase. Und in Heidis Topmodel-Casting müsste sich die züchtige Dame womöglich grenzdebile Tipps anhören. Dabei entwickelt sie schon aus der Ferne eine sagenhafte Anziehungskraft. Aber die Zeiten ändern sich, der Geschmack sowieso. Davon könnte gerade die „Frau mit der Waage” ein Liedchen singen. Schmählich verkannt war das Meisterwerk des Jan Vermeer, für einen Spottpreis wurde es 1826 verscherbelt. Jetzt ist die millionenschwere Maid als prominentester Gast zum 175. Geburtstag der Alten Pinakothek nach Bayern zurückgekehrt.

Max I. Joseph (1756 - 1825) hatte sie erworben, und man darf den Vater des kunstmanischen Ludwig I. nun endlich als Sammler mit besonderem Feinsinn kennen lernen. Die erste Schau zum Großjubiläum zeigt erlesene Teile seiner großen Kollektion. Rund 350 Werke hatte er zusammengetragen und sich auf Genre- und vor allem Landschaftsmalerei konzentriert: Zum einen waren es die alten Niederländer, die ihn reizten, die Maler des 17. Jahrhunderts, das nicht ohne Grund als „Goldenes Zeitalter” bezeichnet wurden. Zum anderen beauftragte Bayerns erster König auch junge Künstler – und die stellten sich auf seine bevorzugten Sujets ein.

Der König sammelt mit System

Dieses durchaus leidenschaftliche Sammeln hatte also System und war damit ungemein fortschrittlich. Max hatte nicht den Drang sich mit repräsentativen Schinken zu schmücken, sein Interesse galt einer stillen Kunst mit Wohnzimmer-Charakter. Das passt zum Monarchen, der noch im prächtigen Krönungsornat eine fast leutselige Bürgernähe ausstrahlt – das Stieler-Porträt eröffnet die Ausstellung im Ostflügel des Klenzebaus. Übrigens gefolgt von einem Seestück Ludolf Bakhuizens, das einst das königlich-bayerische Schlafzimmer zierte. Wo man sonst eher nackerte Doch Max hatte einen Blick für die Finessen eines Jacob van Ruisdael, für dessen windzerzauste Dünen und knorrigen Bäume, für die heimlichen Pfade, die sich ins Innere einer (Seelen-)Landschaft winden. Er goutierte die duftigen Wolken des Philips Wouwerman, die idyllischen Bauernszenen eine Paulus Potter, dessen Viechereien die Münchner Tiermaler aufgegriffen, oder ein Gewitter, das Willem van de Velde aus düsteren Wolken dräuen lässt.

Vermeer zum Dumping-Preis

Man kann sich leicht vorstellen, dass die Söhne kaum nach dieser Sammlung gierten, als der König überraschend starb. Ludwig hatte bekanntlich ganz andere Ambitionen, und zum Erbe kam ein Berg Schulden. Die Versteigerung ließ nicht lange auf sich warten, und immerhin landete so mancher fabelhafte Niederländer irgendwann in der Staatsgemäldesammlung. Nur eben nicht die wägende Frau.

Das Gemälde war mit 820 Gulden mit das günstigste Objekt im Kuhhandel, Vermeer ein Unbekannter, der erst zur Zeit der Impressionisten langsam wieder an Bedeutung gewinnt. Doch da ist die Betuchte, die just vor dem Jüngsten Gericht ihre Preziosen wiegt, längst in Washington. Nicht nur Ludwig müsste sich noch im Grabe in den Hintern beißen. Aber schön, dass die nachdenkliche Lady wenigstes drei Monate bei uns Urlaub macht.

Bis 19.6., Katalog 26,90 Euro

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