Besson: "Heilung durch Hunde"

Regisseur Luc Besson über weinende Kritiker, Hunde, Vorwürfe der Vergewaltigung und die Wirkung von "DogMan"
von  Margret Köhler
Luc Besson mit dem Hauptdarsteller Caleb Landry Jones.
Luc Besson mit dem Hauptdarsteller Caleb Landry Jones. © Capelight

Der heute 64-Jährige wurde in Paris geboren und wuchs - mit seinen Eltern, die Tauchlehrer waren - in Italien, Jugoslawien und Griechenland auf. Seine wichtigsten Filme sind "Im Rausch der Tiefe" (1988), "Leon - Der Profi" (1994), "Das fünfte Element" (1997) sowie mehrere "Arthur und die Minimoys"-Filme.

Beim Filmfestival in Venedig gab es Standing Ovations und viele Tränen für Luc Bessons dunkles Drama "DogMan" über das Schicksal eines Mannes, der als Kind von seinem brutalen Vater mit Kampfhunden in einen Zwinger gesperrt wird. Der charismatische Caleb Landry Jones spielt den traumatisierten Außenseiter, der Menschen misstraut, Trost und Geborgenheit in der Gemeinschaft von Hunden findet. Dieser Antiheld zerbricht trotz Krisen und Gewalt, seelischem und körperlichem Schmerz nicht. Ein Überlebenskämpfer, der seine Würde nicht verliert. Mit diesem Ritt durch die Genres feiert der Kultregisseur von Meisterwerken wie "Das fünfte Element" ein grandioses Comeback.


AZ: Monsieur Besson, was brachte Sie auf diese bizarre und gleichzeitig erschütternde Geschichte?

LUC BESSON: Der Zeitungsartikel über einen Vater, der sein fünfjähriges Kind in einen Käfig gesperrt hat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand so etwas tun kann. Mich interessierte, wie ein Mensch nach dieser Erfahrung überhaupt überleben kann. Er hätte ja auch Terrorist werden und die düstere Seite wählen können. Ich überlegte mir, wie weit er gehen würde. Würde er es schaffen, aus dem Elend herauszukommen, seine Seele lebendig zu halten?

Trotz Fabelcharakter und Fantasy-Elementen wirkt "DogMan" doch dunkler als Ihre bisherigen Filme.

Das ist mir nicht so bewusst. Das Interessante an Beton ist doch, dass in den Ritzen Blumen sprießen. Ich habe einen Film über die kleine Blume Hoffnung gemacht.

Viele Zuschauer hat das Schicksal des Douglas Munrow zum Weinen gebracht.

Wir alle haben in unserem Leben Leid erfahren, in kleinen wie in großen Dingen: einen geliebten Menschen verloren, eine Scheidung durchlitten, einen Unfall gehabt oder den Job verloren. Das Gefühl von Schmerz kennen wir also alle und deshalb können wir uns mit dieser Figur identifizieren. "DogMan" bewegt durch eine verstörende Ehrlichkeit und Integrität. Ich habe gesehen, wie Zuschauer nach der Vorführung in Tränen aufgelöst waren, bei der Pressekonferenz in Venedig, konnten zwei Journalistinnen vor Schluchzen ihre Fragen kaum stellen. Das Schicksal dieses Mannes, der eine Art Heilung in der Gemeinschaft mit Hunden erlebt, berührt auf verschiedenen Ebenen, bringt bei jedem von uns eine andere Seite zum Klingen.

Der Soundtrack von Eric Serra, mit dem Sie schon bei "Nikita", "Léon der Profi" und "Das fünfte Element" zusammengearbeitet haben, unterstreicht die Emotionalität.

Musik ist auch eine Form von Dialog, eine Ergänzung zum gesprochenen Dialog. Und da treffen wir uns - Eric Serra und ich.

Sie setzen Songs von Charles Trenet, Eurythmics oder Musik von Django Reinhardt ein, vor allem Edith Piafs "Non, je ne regrette rien", wenn Doug dieses in der Drag-Queen-Show vorträgt.

Wichtig war für mich der zeitlose Rahmen, man weiß nicht ob die Handlung in den 80er Jahren spielt, in den Nuller-Jahren oder heute. Doug kann sich aufgrund seiner körperlichen Behinderung nicht sehr viel bewegen auf der Bühne. Und Edith Piaf hat sich bei ihren Auftritten auch kaum von der Stelle bewegt. Das war der pragmatische Grund. Aber ihre Chansons wühlen unsere Gefühle auf. Wenn sie singt, spürt man ihren tiefen seelischen Schmerz und ihre Einsamkeit, das verbindet sie mit dem Außenseiter Doug. In diese französische Ikone zu schlüpfen, war für Doug die einzige Möglichkeit, jemand anders zu sein.

Fünf Jahre dauerte die juristische Auseinandersetzung um den Vorwurf einer mutmaßlichen Vergewaltigung. Die Klage wurde bereits 2021 mit einem Freispruch eingestellt und Frankreichs höchstes Berufungsgericht wies im Juni die Anschuldigungen endgültig zurück. Inwieweit hat dieser Druck Ihre Arbeit beeinflusst?

Filmemachen ist Arbeit und die habe ich wie immer erledigt, es ging darum, ein gutes Resultat zu erzielen. Der Rest interessiert mich nicht. Das höchste Berufungsgericht hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Wenn jemand das Gerichtsurteil nicht respektiert, kann ich das auch nicht ändern.

Was halten Sie von "politischer Korrektheit"?

Die Frage stelle ich mir nicht.

Aber stehen Sie nach diesem Albtraum jetzt befreit vor einem Neuanfang?

Das ist nicht mein Thema. Jeder Film ist wie ein Wettlauf oder ein Match, mal gewinnt, mal verliert man. Dann kommt das nächste Match und wieder setzt man seine ganze Kraft und Leidenschaft ein. Reden wir über "DogMan".

Wie sind Sie auf Caleb Landry Jones für die Rolle des Doug gekommen?

Ich suchte einen außergewöhnlichen Schauspieler, der Sehnsucht, Traurigkeit und Komplexität dieser diffizilen Figur spiegeln kann. Ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Bei meinen Recherchen bin ich auf seine Filme gestoßen, seine breite Darstellungskunst hat mich fasziniert. Caleb ist ein Wahnsinnsarbeiter, der seine Rolle mit großer Intensität und Körperlichkeit angeht. Er hat mehrere Monate im Rollstuhl gesessen, um zu verstehen, wie das ist, hat um jede Nuance im Gestus oder in der Tonalität seiner Stimme gekämpft. Dazu kam die Arbeit mit Hunden, nicht gerade die leichteste Übung.

Am Set wuselten mehr als 60 Hunde herum. Wie haben Sie Ordnung in das Chaos gekriegt, ohne verrückt zu werden?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wir hatten ein Super-Team von Tiertrainer und Tiertrainerinnen, sowie britische Make-Up-Experten, die sich genau das Drehbuch durchgelesen haben und dann mit Shampoos und Geräten anrückten. Mich fasziniert es bis Heute, dass jedes Tier seinen eigenen Charakter hatte. Trotz Training und Vorbereitung sollten sie natürlich bleiben. Ich wollte echte Vierbeiner, keine digitalen Exemplare.

Sind sie Katzen- oder Hundemensch?

Ich ordne mich da nicht zu. Ich mag einfach Tiere. Diese vorbehaltslose Liebe von Hunden zum Menschen und ihr Vertrauen ist allerdings schon besonders. Nach einigen Treffen habe ich Caleb gefragt, ob er Hunde mag. Als er mir erzählte, wie er als Kind einen Hund als treuen Gefährten hatte, war das Eis gebrochen. Auch mich tröstete als Bub ein kleiner Hund über das Alleinsein hinweg. Schon der Philosoph Alphonse de Lamartine brachte es auf den Punkt: "Wo auch immer jemand unglücklich ist, dahin schickt Gott einen Hund".

Wenn Sie Ihre Karriere Revue passieren lassen, fühlen Sie da so etwas wie Stolz?

Ich schaue nicht zurück. Bei jedem neuen Film steht man vor neuen Herausforderungen. Es gibt keinen Automatismus oder eine Kontinuität. Als Filmemacher muss ich Herz und Kopf einsetzen. Schauspieler Jean Reno, Eric Serra und ich haben uns versprochen, mit 80 Jahren gemeinsam vor dem Kamin zu sitzen und unsere Filme noch einmal durchzugehen. Vorher nicht.

Treibt Sie noch ein ganz spezielles Projekt um?

Alle meine Filme sind speziell. Ich hoffe, noch zwei oder drei Filme zu realisieren, aber ich bin 63 und werde nicht jünger. Toll wäre es, noch einen Science-Fiction-Film zu drehen, aber für dieses Genre benötigt man eine Stange Geld.

Haben Sie Angst vor den Konsequenzen der KI, der künstliche Intelligenz? Der Streik der Drehbuchautoren in Los Angeles ist vorbei, die Schauspieler streiken noch.

Ich unterstütze die Streikbewegung. Es geht doch darum, die eigenen Rechte zu verteidigen. Aber es gab immer große technische Umwälzungen mit Folgen für die Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass Chat GPT die menschliche Kreativität ersetzen kann, sie stützt sich auf bestehendes Wissen und kann nicht weiterdenken. Künstler sollten die Gesellschaft aufrütteln, ob das die KI kann, bezweifle ich. Allein der Begriff "künstliche Intelligenz" gibt die Antwort: Die menschliche Intelligenz wird triumphieren, nicht das künstliche. Wer intelligent ist, braucht keine Angst zu haben. Aber wir müssen aufpassen.

Warum sind Sie nach Jahren in Hollywood nach Frankreich zurück? Sie hatten sicherlich viele Angebote.

Daran hat es nicht gemangelt, ich bin froh, dass ich da nicht zugesagt habe, die meisten entpuppten sich später als Flop. Ich empfinde keine Bitternis, wir hatten unterschiedliche Vorstellungen vom Kunsthandwerk. Früher zählten für die Studios und ihre Bosse die Künstler, denen brachte man Wertschätzung entgegen. So konnte man beispielsweise anhand seines Werkes dem Weg von Stanley Kubrick folgen. Es fehlt heute an Mut und Risikobereitschaft. Rechtsanwälte und Investoren haben das Sagen. Follow the Money ist die Devise. Da sind Frankreich und Europa besser.

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