Besser Zeiten für Denker?
Stefan Zweig hat es hymnisch als „Land der Zukunft“ gefeiert. Der berühmte jüdische Schriftsteller wählte Brasilien als Exil auf der Flucht vor den Nazis – bis zu seinem Freitod im Jahr 1942. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis der von Zweig formulierte Anspruch in die Tat umgesetzt wurde.
Inzwischen ist das fünftgrößte Land der Erde zur wirtschaftlichen Vormacht Lateinamerikas aufgestiegen. Auf der Frankfurter Buchmesse wollen die Verlage des Ehrengastes Brasilien zum internationalen Sprung ansetzen. Zugleich will das Gastland beweisen, dass es literarisch viel zu bieten hat. Rund sieben Millionen Euro kostet der Auftritt.
International bekannt ist Brasilien immer noch vor allem für sinnlich-exotische Bücher wie die von Jorge Amado (1912-2001), João Ubaldo Ribeiro („Brasilien, Brasilien“) oder die esoterischen Bestseller von Paulo Coelho. Doch Brasiliens Literatur ist vielfältig und erzählfreudig – und oft auch provokativ. Die geografischen und sozialen Gegensätze des Riesenlandes bieten Stoff in Hülle und Fülle. Und nicht nur in Frankfurt hofft man, dass dieses Gastland wieder größere Spuren hinterlässt, als dies in den letzten Jahren der Fall war.
Denn ein Blick in die Bestsellerlisten ist ernüchternd: Zwar werden brasilianische Autoren schon seit Wochen in den deutschen Medien vorgestellt, bislang aber hat es keiner unter die ersten 50 der meistverkauften belletristischen Titel geschafft. Dort dominiert, nachdem Dan Browns „Inferno“-Effekt inzwischen leicht im Handel abgebrannt ist, inzwischen der dänische Krimi-Platzhirsch Jussi Adler-Olsen. Kaum vier Wochen auf dem Markt, vermeldet der Münchner dtv-Verlag bereits 400 000 ausgelieferte Exemplare von „Erwartung“. Auch im Taschenbuch steht der Verlag auf dem ersten Platz, denn schon 300 000 Leser sind mit Rita Falk ins „Sauerkrautkoma“ gefallen.
Noch überraschender sind allerdings Zahlen aus dem Sachbuch. Dass man ein 39,99 Euro teures und 900 Seiten dickes Buch über den Ersten Weltkrieg in vier Wochen fast 70 000 Mal verkaufen kann, hat auch die Deutsche Verlags-Anstalt in München überrascht. Christopher Clark erzählt in „Die Schlafwandler“ allerdings auch so plastisch und spannend vom politischen und diplomatischen Versagen der Großmächte, dass man dieses Geschichtsbuch auch auf den Krimitisch legen könnte. Seine Widerlegung der Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg ist sicher auch nicht verkaufshemmend.
Nicht minder erstaunlich ist das Auftauchen Johann Wolfgang von Goethe in der Bestsellerliste. Der Münchner Hanser Verlag hat von Rüdiger Safranskis Biografie „Johann Wolfgang von Goethe – Kunstwerk des Lebens“ auch schon knapp 70 000 Bücher angesetzt. Aber beim Philosophen und Autor Safranski weiß sich der Leser halt in sachkundigen Händen und lässt sich gerne kenntnisreich durch die 750 Seiten lotsen.
Sollten sich auch weiterhin mehr Deutsche für Johann Wolfgang von Goethe Gedanken als für Boris Beckers Liebesleben interessieren, so wäre das für das Land der Dichter und Denker ja kein schlechtes Zeichen.