Besser auf Normaltemperatur
Die Taiwanesin Ching-Yun Hu zeigte bei "Klassik vor acht" viel Technik. Bei einer Ligeti-Zugabe überzeugte sie mehr als bei spätromantischem Gefühlsüberschwang.
Mit Technik werden Klavierwettbewerbe gewonnen. Über Perfektion lässt sich unter Juroren leichter Einigkeit feststellen als zu künstlerischen Fragen, die immer Geschmackssache bleiben. Auch die Taiwanesin Ching-Yun Hu ist eine solche Siegernatur. Bei ihrem Debüt bei Klassik vor Acht im Herkulessaal spielte sie mehr Noten als bei anderen Klavierabenden, aber die Musik im engeren Sinn blieb auf der Strecke.
Die ihr Geburtsdatum hartnäckig verschweigende, aber wohl knapp über 20 Jahre junge Dame besitzt die nötige Fingerfertigkeit für Fingerbrecher wie Ravels „Gaspard de la nuit“. Das ist wahrlich keine Kleinigkeit. Aber Enrique Granados’ spanisches „El amor y la muerte“ klang wie ihr Chopin oder Schulz-Evlers hübscher Schmarrn über Themen der „Schönen blauen Donau“. Jenseits der üppig tönenden Vollgriffigkeit fehlte in allen drei Fällen das Parfüm der Individualiät. Bei Sergej Rachmaninows technisch mühelos gemeisterter, aber emotional nur unzureichend erfüllter Sonate Nr. 2 machte die Pianistin nicht wirklich klar, welchem musikalischen Zweck die irrwitzigen Schwierigkeiten dieses Stücks eigentlich dienen.
Aber das kann ja alles noch kommen. Chin-Yun Hu donnerte als Zugabe noch mit viel Grandioso die Barcarolle in Fis-Dur von Chopin. Dann riss zuletzt bei György Ligetis „Zauberlehrling“-Etüde der Himmel auf: Die Normaltemperatur der Moderne liegt ihr mehr als der spätromantische Gefühlsüberschwang. Jurys kann man mit solcher Musik vielleicht schon becircen, Konzertveranstalter und Besucher vor dem Zugabenteil kaum.
Robert Braunmüller
Im nächsten Konzert der Reihe Klassik vor Acht spielt Khatia Buniatishvili am 15. März Werke von Haydn, Liszt, Chopin und Strawinsky