Bergisel ist noch vermint
Vor 200 Jahren kämpften die Tirolereinen blutigen Freiheitskrieg gegen Bayern und Franzosen. Der ehemalige Extrembergsteiger Reinhold Messner wagt in Bozen eine Neudeutung
Wer war dieser Mann eigentlich? Bis heute geistert Andreas Hofer durch Köpfe und Freiheitslieder, die Tiroler Landeshymne dreht sich gar ausschließlich um den Mann, der als einfacher Wirt seine Landsleute in den bewaffneten Kampf führte und dafür von fremder Staatsgewalt erschossen wurde. War er ein Rächer der Unterdrückten, heute noch Vorbild an Entschlossenheit und Aufopferungsbereitschaft? Oder reaktionärer Separatist, eine Art katholischer Taliban, der den Freiheitskampf behauptete, um die alte Unfreiheit zu behalten?
Heuer wird die Andreas-Hofer-Frage vielfach neu gestellt. Reichlich Anlass bietet die 200.Wiederkehr der Jahrestage der Bergisel-Schlachten – jener blutigen Gemetzel bei Innsbruck, in denen die Tiroler versuchten, die Franzosen und deren bayerische Verbündete abzuschütteln. Drei Mal gewannen die Aufständischen im Jahre 1809. Beim vierten Mal verloren sie dann doch – und Tirol blieb besetzt. Fünf Jahre später, als Europa nach Napoleons Ende neu aufgeteilt wurde, kam der nördliche Landesteil wieder zu Österreich, der südliche verblieb bei Italien.
Leicht reizbare Schützen
Nun ist das alles lange her. Die Fragen von Herrschaft und Landesgrenzen sind im Mitteleuropa des Jahres 2009 nicht einmal mehr ansatzweise so aufwühlend wie vor 200 Jahren. Trotzdem quälen sich Bayerns südliche Nachbarn immer noch und oft erstaunlich heftig mit dem Identitätsthema. Mal streitet man um eine metallene Dornenkrone als Freiheitssymbol, dann zanken die Parteien im Landtag um die Geschichtspflege. Und immer noch haben in Südtirol 5000 organisierte Schützen ihr Gewehr im Schrank und werfen zornige Blicke hinauf zum Brenner.
Da wirkt es auf den ersten Blick irritierend, dass die gerade eröffnete Ausstellung zu dem heiklen Thema von Reinhold Messner organisiert wird, der als Extremsportler anerkannt, als politischer Akteur aber nicht immer berechenbar ist. Schon der Titel weckt Befürchtungen: „Anno ’09 – Ein Bergvolk wehrt sich“ klingt nach Kriegsromantik und Robin-Hood-Legende. Auch im Gespräch wandelt Messner zunächst auf einem sehr schmalen Grat: „Ich will drauf hinweisen, dass Bergvölker, die versuchen, sich zu wehren, immer draufzahlen müssen“, so Messner. Dann schlägt er den politisch krummen Bogen von Tirolern zu „Tibetern, Kaukasiern und auch den Basken“.
Messners Schau in seinem „Mountain Museum“ auf Schloss Sigmundskron bei Bozen hat den Anspruch, mit „Reliquien von 1809“ wie auch mit zeitgenössischer Kunst zu zeigen, was einst Bauern dazu brachte, sich „gegen die großen Heere zu verteidigen“.
Im Kampf gegen die von den Bayern gebrachte Aufklärung
Messner wäre aber nicht Messner, wenn er nicht sogleich auch ins andere, pazifistische Extrem schwenken würde: „Ich will die Luft aus dieser Heldengeschichte lassen“, sagt er dann. Dass im Ringen um Selbstbestimmung und Autonomie „das Wort die einzige Waffe“ bleiben müsse. So stelle er in der Ausstellung den originalen Schuh eines 1809 getöteten kleinen Buben gegen ein kriegstümelndes Defregger-Schlachtengemälde – „damit klar wird, wie unmenschlich jeder Krieg ist“.
Auf Nachfrage räumt Messner ein, dass die Tiroler und vorneweg Andreas Hofer gegen die Aufklärung und für ihren alten, autoritären Klerus kämpften. Und fügt an, dass „seit Schengen die Grenzprobleme in Europa eigentlich gelöst sind“. Warum dann also der Freiheitskampf als rhetorischer Eiertanz, Herr Messner?
„Weil es tatsächlich immer mehr von denen gibt, die sagen: ,Wenn es sein muss, dann schlagen wir wieder los’“, so seine Antwort. „Diese Leute müssen wir einbeziehen, dürfen ihnen nicht das Thema überlassen.“
Bergisel war vor 200 Jahren. Aber das Gelände ist immer noch vermint.
Michael Grill
Die Jubiläumsausstellung „Anno ’09 – Ein Bergvolk wehrt sich“ ist bis 15. November auf Schloss Sigmundskron bei Bozen zu sehen. Geöffnet ist sie täglich außer montags 10 – 18 Uhr (www.messner-mountain-museum.it). Am 10. Mai öffnet die Tiroler Landesausstellung in der Franzensfeste nördlich von Brixen. Sie widmet sich bis zum 30. Oktober dem Thema „Labyrinth – Freiheit“. Über weitere Veranstaltungen der Tiroler im Gedenkjahr informiert die Homepage www.1809-2009.eu.