Beben, Weinen, Wälzen
Punk-Frisuren, Gothic-Chic, Sado-Maso-Spielchen und etwas Drogenkonsum: Das milde „Christ0“ im Gärtnerplatztheater ist ein ohrenschonendes Rockmusical.
Die Rockoper ist ein Phantom. „Tommy“ von The Who war auf der Bühne so etwas wie ein Singspiel mit Band, „Quadrophenia“ eine überambitionierte Katastrophe. Bei „Christ0“ im Gärtnerplatztheater spielt die Band im Orchestergraben, auf der Bühne singen die Schauspieler. Erzählt wird eine Geschichte nach Motiven aus Alexandre Dumas’ „Der Graf von Monte Christo“, begleitet von der Prog-Rock-Band Vanden Plas: ein Musical mit verzerrter Gitarre. Rockmusik fühlt sich schon einmal grundsätzlich um einige Dezibelchen lauter an.
Der Gitarrensound ist durch Effektgeräte so gefiltert, dass er sich mit den Synthesizer-Flächen verbindet, ein E-Schlagzeug liefert den synthetischen Rhythmus. Elektronik und Choreinsatz schaffen den voluminösen Raumklang, der musikalische Komplexität behauptet.
Die Handlung konzentriert sich auf den Rachefeldzug des Edmont Dantès, der 14 Jahre, nachdem ihn eine Verschwörung aus dem Leben und seiner Verlobung gerissen hat, wie ein zurückgekehrter Odysseus unter den Schurken aufräumt. Die erste Leiche baumelt über der Bühne, das zweite Opfer wird in einer gläsernen Badewanne ersäuft und angezündet.
Bühnenbilder zwischen Schiffswrack und Salons wechseln fließend. Regisseur Holger Hauer schöpft die Möglichkeiten zur maximalen visuellen Unterhaltung aus. Der Hauptfigur Dantès wird eine Persönlichkeitsspaltung attestiert. Der psychische Defekt ist ein Topos von „Tommy“ über „Quadrophenia“ bis zu „The Wall“.
Auch hier dient er dazu, die Figur mit emotionaler Komplexität zu belegen. Aber das Gefühlsrepertoire der zwiegespaltenen Figur, gespielt von Vanden-Plas-Sänger Andy Kuntz und Chris Murray, ist schlicht: Wut, Weinen, Zusammenbruch. Ins Metaphysische verlängert, wird der Konflikt durch christliche Metaphorik.
Christ0, also Christ Zero heißt die eine Hälfte von Dantès, Inspektor X wie Xsavior die andere. Die philosophische Übercodierung der Handlung macht den Konflikt der Hauptfigur noch unschärfer. Die Liebesgeschichte zwischen Dantès und seiner Mercedes, parallel zwischen Dantès’ Sohn und Valentine hätte schon genügend psychologisches Material geboten, taugt für Liebesduette. Hier kommt das Gefühl kurzfristig zu seinem Recht. Was sonst unter dem Etikett Rock vorgeführt wird, ist Klischee-Subkultur, die Punk-Frisuren, Gothic-Chic, Sado-Maso-Spielchen und etwas Drogenkonsum zu einer wirren Retro-Science-Fiction-Fantasy-Ästhetik mischt. Der Effekt dürfte eher die Gewöhnung des Gärtnerplatz-Stammpublikums an „Rockmusik“ sein, als der Gewinn neuer Besucher. Jubel. Stehender Beifall.
Christian Jooß
Nächste Aufführungen: 18. und 25.4., 19.30 Uhr