Bayreuther Geschichts-Erlebnispark

Marlene Dietrich war doch in der Partei, lautet die verstörendste Neuigkeit vom Grünen Hügel. Zur Verführung Parsifals erscheint sie als wasserstoffblondierter blauer Engel in Frack und Zylinder.
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Marlene Dietrich war doch in der Partei, lautet die verstörendste Neuigkeit vom Grünen Hügel. Zur Verführung Parsifals erscheint sie als wasserstoffblondierter blauer Engel in Frack und Zylinder.

Der reine Tor bleibt standhaft, und so ruft sie die SS, um seinen Widerstand zu brechen. Blutrote Hakenkreuzfahnen werden aufgezogen, und weil in jedermann ein Nazi steckt, bedroht Parsifal als Hitlerjunge sein erwachsenes Alter Ego mit dem heiligen Speer, während der bestrapste Klingsor auf dem Balkon der Wagner-Villa Wahnfried mit der gleichen Waffe herumfuchtelt.

Solcher Nazigrusel wirkt immer und posaunt Bayreuths neue Liberalität in die weite Welt hinaus. Stefan Herheim hat die kritische Wagner-Literatur von Adorno über Bermbach oder Carr bis zu Zelinsky hineingefressen und weitgehend unverdaut der Bühne übergeben. Innere Logik stiftet allein die unerbittliche Achse der Zeit. Weil nach dem letzten Liebesmahl die feldgrauen Gralsritter in den Ersten Weltkrieg ziehen und die Stahlgewitter in Klingsors Lazarett-Alptraum wiederkehren, ist am Ende des zweiten Akts der nächste deutsche Untergang einfach fällig.

Eine platte Geschichtsstunde

Die Inszenierung des 38-jährigen Norwegers behauptet viel und begründet wenig. Über Bayreuths Folgen für die deutsche Misere lassen sich kluge Bücher schreiben. Auf die Bühne aber wird fuchtelndes Thesentheater daraus, dessen historische Bilderflut unweigerlich an Katharina Wagners Münchner „Waffenschmied“ erinnert. Technisch ist die Aufführung noch aufwendiger als Christoph Schlingensiefs vorzeitig abgesetzter „Hasifal“. Manches bleibt ebenso unverständlich, aber während der Aktionskünstler auf den Spuren von Joseph Beuys der Kunstreligion von Wagners Bühnenweihfestspiel nachspürte und den Zuschauer mit postmodern-mehrdeutigen Rätseln konfrontierte, kommt Herheims Geschichtsstunde platter daher: Statt Schlingensiefs Voodoo-Umwegen stellt er lieber gleich Richard Wagners efeuumranktes Grab auf die Vorbühne.

Das mit kinematografischer Effizienz wie am Schnürchen heruntergespulte Verhängnis beginnt noch während des Vorspiels in der Apsis von Wahnfried. Als erste Lesefrucht kommt der von Wagner vorweggenommene Ödipus-Komplex an die Reihe: Parsifal träumt sich ins Bett seiner eben verstorbenen Mutter Herzeleide. In einer technisch brillanten Verwandlung wächst Heike Scheeles Bühnenbild dabei ins Riesenhafte. Später finden wir uns im Garten der Wagner-Villa wieder, die mit dem Gralstempel aus der Uraufführung von 1882 überblendet wird, während Amfortas den heiligen Kelch aus dem Grab des Meisters herkramt.

Keine Assoziation bleibt in dieser Bild- und Tonshow zur deutschen Geschichte im Spiegel Bayreuths ungezeigt: Die Ritter opfern Parsifal, der im mütterlichen Bett einen Akt später auch von Klingsor vernascht wird. Gurnemanz' Erzählung veranschaulicht ein Speerkampf zwischen Amfortas und dem bösen Zauberer, im zweiten Akt erscheint der als Doppelgänger Herzeleides gedeutete Gralskönig auf Stichwort, wenn sich Parsifal an den Gralsritus erinnert. Auch sonst hält der Regisseur das Publikum für begriffsstutzig: Wenn der Held im Matrosenanzug seine „Knabentaten“ erwähnt, stößt er ebenso überdeutlich ein Schaukelpferd um, wie bei jeder Erwähnung von Wasser ein Video plätschert.

Die Bitte von 1951

Vor lauter Bildern blieb Herheim keine Zeit für Personenregie: Fußwaschung, Salbung und Taufe erinnern an Wolfgang Wagners unfreiwillige Komik, nur dass damals beim Karfreitagszauber keine Trümmerfrauen über die Bühne schlurften. Zur Verwandlungsmusik wird die Bitte von 1951 projiziert, auf dem Grünen Hügel von politischen Debatten Abstand nehmen zu wollen. Amfortas hält noch eine Leichenrede im Bundestag, bevor Parsifal im Herz der fetten Henne verschwindet und der deutsche Sonderweg vom Segen der Globalisierung erlöst wird.

Das Herz der kritischen Wagnerianer jubelte: Herheim bekam weniger Buhs als Dirigent Daniele Gatti, der Langsamkeit mit Boulez'scher Leichtigkeit und klangschöner Streicherkultur versöhnte. Der zweite Akt wirkte stark heruntergekühlt. Von ein paar stumpfen Stellen in den Verwandlungsmusiken abgesehen, kam der Bayreuth-Debütant mit der heiklen Akustik gut zurecht.

Gesungen wurde besser als in der Premiere der Schlingensief-Inszenierung von 2004, was noch nicht viel bedeutet: Kwanchoul Youn (Gurnemanz) präsentierte üppiges Bass-Material mit wenig Ausdruck. MihokoFujumuras trockene Kundry entsprach dem eckigen Parsifal Christopher Ventris, der nur bei den Amfortas-Rufen und im Finale richtig aufdrehte. Der helle, tenoral-schneidende Bariton Detlef Roths (Amfortas) passte zum Schmerzensmann der Inszenierung, könnte aber gestalterisch zulegen. Singen und die Musik ist aber das letzte, worauf es im Geschichtserlebnispark Bayreuth ankäme. Und, ach ja, der böse Bube Schlingensief wird in den Pausengesprächen schon verklärt.

Robert Braunmüller

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