Bayreuth hat eine Fahne
Die Biogasanlage ist seit Tagen Gesprächsthema. Der „Alkoholator” sowieso. Denn der dekorative rote Tank gehört zum Bühneninventar des neuen „Tannhäuser”, mit dem gestern die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden. Unser Opernfachmann Robert Braunmüller schildert seine Eindrücke nach dem zweiten Aufzug.
Was spricht die Nase des Kritikers?
Kein Witz, in meiner Umgebung riecht es ganz schön nach Alkohol, und ich weiß nicht so recht, woran’s liegt. Könnte sein, das sich da jemand vor der Aufführung einen angetrunken hat – rein prophylaktisch, nach allem, was an Gerüchten kursierte. Der Geruch könnte aber auch von der Bühne kommen, wo eine Biogas- oder Biomasseanlage zu sehen ist, die offenbar auch Alkohol produziert.
Wie hat Regisseur Sebastian Baumgarten den Gegensatz von Venusberg und Wartburg gelöst?
Vorläufig gar nicht, auf der Bühne steht ein riesiges Gerüst, im Hintergrund dominiert der bereits erwähnte Tank mit dem hübschen Titel „Alkoholator” – das ist die Installation des niederländischen Künstlers Joep van Lieshout. Im Venusberg, einem überdimensionalen Käfig, der aus den Tiefen nach oben fährt, kopulieren Menschenaffen und Kaulquappen.
Und Venus, die Göttin?
Sie sieht aus wie eine Wiedergängerin von Astrid Varnay als Klytämnestra – und ist in der Rolle hochschwanger. Die Sängerin Stefanie Friede schleift die Töne ähnlich von unten an wie die Varnay.
Wie hat man sich den Tannhäuser vorzustellen?
Der läuft die meiste Zeit in Unterhosen durch die Szene und hat schmutzige, völlig zerkratze Beine – er hält sich ja in einem „Reich der wilden Tieren” auf.
Singt er wenigstens gut?
Eher mittelprächtig. Lars Cleveman hat eine durchdringende helle, metallische Stimme. Mit den Konsonanten steht der schwedische Tenor auf Kriegsfuß, und auch sonst singt er nicht besonders textverständlich.
Und der Rest des Ensembles?
Ist eine ordentliche Großstadttheater-, aber keine Festspielbesetzung.
Dirigent Thomas Hengelbrock kommt aus der Originalklang-Szene, legt Wert auf die Quellen. Wie macht sich das bemerkbar?
Positiv. Das Orchester klingt ausgesprochen schön, weich und dennoch transparent. Der Klang schwebt geradezu. Und tatsächlich sind Dirigent und Orchester die einzige Komponente dieser neuen „Tannhäuser”-Produktion, die Lust auf mehr macht.
Wie könnte man die Inszenierung einordnen?
Ein kontrollierter Schlingensief mit einem Schuss Castorf. Christoph Schlingensief deshalb, weil Videoprojektionen von biologischen Vorgängen und Röntgenaufnahmen auf die Bühne geworfen werden. Frank Castorf, weil Kunstinstallationen in die Inszenierung eingebaut werden.
Kann man eigentlich von einem Skandal sprechen?
Nach dem ersten Aufzug gab’s nicht einmal Buhrufe, nach dem zweiten waren sie sehr dezent. Aber Wolfram muss ja erst noch sein „Lied an den Abendstern” auf dem Klo singen.
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