Bayerns Kunstminister Blume (CSU) über drohenden Kahlschlag beim BR: "Geplante Streichungen müssen noch mal diskutiert werden"

Die jährliche Premiere der Bayreuther Festspiele ist über die Bühne gegangen: "Parsifal" in der Inszenierung von Jay Scheib mit AR-Brillen für 330 der fast 2.000 Zuschauer. Nun steht der Vertrag von Katharina Wagner zur Verlängerung an. Außerdem wird der Freistaat sein Engagement verstärken: Er übernimmt nun 37 statt bislang 29 Prozent der Gesellschafteranteile an den Festspielen.
AZ: Herr Blume, hatten Sie im "Parsifal" eine Brille auf?
MARKUS BLUME: Ja! Als Brillenträger bin ich zwar geübt, aber ich fand die Brille mit der Zeit noch unbequemer als die Stühle im Festspielhaus (lacht). Im Ernst: Es war ein spannendes Experiment.
Bayerns Kunstminister Markus Blume: "Innovation gehört zum Theater"
Und wie haben Sie wahrgenommen, was Sie in der Brille gesehen haben?
Es war auf jeden Fall ein Erlebnis. Innovation gehört für mich zum Theater. Im ersten und dritten Akt empfand ich die virtuelle Ebene eher als Spielerei. Einen Mehrwert habe ich vor allem im zweiten Akt in der Verführungsszene zwischen Kundry und Parsifal wahrgenommen. Spannend fand ich auch die Zerstörung des Zaubergartens.

Katharina Wagner hat die Festspiele geöffnet: mit einem Open Air für die Bayreuther, durch Auseinandersetzung mit der schwierigen Vergangenheit in der Ausstellung "Verstummte Stimmen". Alle bekannten Wagner-Interpreten sind am Hügel präsent. Eine Verlängerung ihres Vertrags ist "Plan A", wie Sie sagen. Trotzdem: Was wäre "Plan B"?
In Bayreuth muss das künstlerische Konzept stimmen, und das ist dieses Jahr der Fall. "Parsifal" unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado gilt als musikalisch bester der letzten Jahre, viel Lob gab es auch für das "Tannhäuser"-Debüt der Dirigentin Natalie Stutzmann, um nur einige Beispiele zu nennen. Es gab großartige musikalische Leistungen – heuer auch ohne Christian Thielemann.
Bayreuther Festspiele: Katharina Wagner sorgt für technische Innovationen
Das mag mancher konservative Wagnerianer anders sehen. Was sind weitere Positiva der letzten Jahre?
Katharina Wagner hat Bayreuth durch die schwierige Corona-Phase gesteuert und nicht nur das: Sie hat auch in den Jahren zuvor die Festspiele erfolgreich geleitet. Jetzt geht es darum, die Festspiele weiterzuentwickeln. Mir gefällt die Idee "Wagner für alle" der Open Airs im Park vor dem Festspielhaus. Auch das wichtige Thema der kulturellen Bildung wird mit den Kinderopern ernst genommen. Technische Innovationen wie die AR-Brillen spielen eine wichtige Rolle. Das alles zeigt in die richtige Richtung. Wenn wir es schaffen, bei den Strukturen noch anzupacken, bin ich optimistisch.

Was der Plan B ohne Katharina Wagner ist, wollen Sie offenbar doch nicht verraten. Apropos Strukturen: Als Kernproblem gilt der Verwaltungsrat, der sich immer wieder in das Tagesgeschäft einmischen soll. Ein solches Gremium ist in einem Theater sonst unüblich.
Man muss sich die Frage der Geschäftsführung und der betriebswirtschaftlichen Verantwortung noch einmal anschauen. Entscheidend ist, dass sich die künstlerische Leitung um das Künstlerische kümmern und den administrativen Ballast auf andere Schultern legen kann. Das setzt voraus, dass die verschiedenen Gremien ihre Aufgaben erfüllen. Und am Ende müssen die Zahlen stimmen. In der Abstimmung zwischen den Gremien und der Geschäftsführung sehe ich allerdings noch Optimierungsbedarf.
AR-Brillen bei den Bayreuther Festspielen: "Ein riesiges Invest und gleichzeitig ein Test"
Im Verwaltungsrat sitzt niemand mit der praktischen Erfahrung bei der Leitung eines Theaters.
Der Verwaltungsrat bildet diejenigen ab, die über die Zuschüsse entscheiden. Die Vertreter des Freistaats beispielsweise haben einen exzellenten Überblick über den Kulturbetrieb in Bayern und darüber hinaus. Entscheidend wird sein, die Gremien besser aufeinander abzustimmen.
Den Vorsitz im Verwaltungsrat haben derzeit nicht die Hauptfinanziers Bund oder Freistaat, sondern die mäzenatische "Gesellschaft der Freunde" von Bayreuth". Ist das keine Schieflage innerhalb dieses Gremiums?
Auch die "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" ist Mitgesellschafterin, derzeit noch mit der gleichen Höhe der Anteile wie Bund und Freistaat. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass einer ihrer Vertreter im Verwaltungsrat den Vorsitz des Gremiums innehat. Das mag sich in der Zukunft wieder ändern.

Der Hauptsponsor der Bayerischen Staatsoper würde aber auch nicht die Anschaffung von AR-Brillen mitentscheiden.
Das war ein riesiges Invest und gleichzeitig ein Test. Daher gab es erst einmal nur eine beschränkte Anzahl. In jedem Kulturbetrieb findet eine Abwägung zwischen künstlerischem Wollen und kaufmännischem Können statt.
Markus Blume will keine Komplettschließung des Festspielhauses in Bayreuth
Regensburg wird bayerisches Staatstheater, Würzburg ebenfalls. Wäre das keine Organisationsform für Bayreuth?
Das sehe ich anders. Bayreuth steht für sich – als kulturelles Aushängeschild Bayerns und Deutschlands. Alles ist dort einmalig: von den Stühlen über den Orchestergraben bis zur Rolle der Familie und der Aura des Orts. Bayreuth spielt in einer anderen Liga.
Ich hörte aus Landtagskreisen, dass für Bayreuth eine Generalsanierung ansteht, die eine Ersatzspielstätte für das Festspielhaus erfordern würde.
Wir wollen einen anderen Weg gehen. Bayreuth ist mit Baumaßnahmen außerhalb der Festspielzeit gut gefahren. Daran halten wir fest. Von einer Komplettschließung halte ich nichts.
Sanierungen kultureller Einrichtungen in Bayern: "Idee einer einzigen Interimsspielstätte nicht realistisch"
Ich habe schon gehofft, Bayreuth zieht für ein paar Jahre in die Münchner Kopie des Festspielhauses: das Prinzregententheater. Das brauchen Sie aber auch als Ersatz für die anstehende Sanierung des Residenztheaters.
Ich habe kürzlich die Kulturkaskade für München vorgestellt. Die Idee sind ineinandergreifende und zeitlich aufeinander abgestimmte Sanierungen unserer großen kulturellen Einrichtungen. Die Anforderungen des Residenztheaters und der Staatsoper an eine Ersatzspielstätte sind völlig unterschiedlich: Es gibt andere Erwartungen des Publikums und andere technische Erfordernisse. Daher ist die Idee einer einzigen Interimsspielstätte nicht realistisch. Es wird mehrere kluge Ersatzlösungen geben müssen. Für das Residenztheater wird das Prinzregententheater eine wichtige Rolle spielen. Sprechtheater sind flexibler, und daher würde ich mir wünschen, dass auch andere Spielstätten erschlossen werden – vielleicht auch das spannende Kulturkraftwerk Bergson. Die gleiche Frage stellt sich übrigens in Nürnberg. Die historisch belastete Kongresshalle als Ersatzspielstätte für die Oper ist absolut faszinierend, weil nur eine kulturelle Nutzung die Kraft hat, diesen Ort demokratisch in Anspruch zu nehmen. Diesen Weg halte ich für richtig: einen Ort kulturell neu erschließen und gleichzeitig die notwendige Sanierung angehen.

Der Staat hat ja ein schönes Grundstück im Werksviertel in Erbpacht gekauft, auf dem derzeit kein Konzerthaus gebaut wird.
Für ein Interim der Staatsoper ist die Fläche zu klein. Aber man könnte andere interessante kulturelle Zwischennutzungen entwickeln, über die wir derzeit mit dem Eigentümer sprechen. Fest steht: Es handelt sich um ein absolutes Filetstück für eine kulturelle Nutzung, die Planungen für das Konzerthaus laufen ja auch weiter. Ohnehin halte ich es bei allen anstehenden Projekten – ganz gleich ob Sanierung oder Neubau – für wichtig, neue Erlebnisse auch außerhalb des Spielbetriebs mitzudenken und die Orte insgesamt mehr zu öffnen. In diesen 1A-Lagen wie auch rund um den Max-Joseph-Platz muss sich etwas rühren. Ich möchte unsere Kultureinrichtungen zu Orten der Begegnung mit einer ganz neuen Aufenthaltsqualität machen, kulturell und gastronomisch. Wir haben so die Chance, eine neue Urbanität zu schaffen.
Drohender Kultur-Kahlschlag beim Bayerischen Rundfunk: "Halte ich für den falschen Weg"
Sie haben sich ziemlich scharf gegen die drohende Streichung von Literatursendungen durch den Bayerischen Rundfunk ausgesprochen.
Ich schätze am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dass dort Themen und Formate einen Platz haben, die sonst leicht der Schere der Aufmerksamkeitsökonomie zum Opfer fallen. Die also in einem rein kommerziellen Sender so nicht möglich wären. Der Kulturauftrag ist eine wichtige Säule des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Deshalb müssen die geplanten Streichungen noch einmal diskutiert werden. Kulturelle Einsprengsel in einem rein auf Unterhaltung getrimmten Programm halte ich für den falschen Weg. Ich wünsche mir ein akzentuiertes, profiliertes Kulturprogramm im Bayerischen Rundfunk und hoffe, dass es angesichts der Debatte noch einmal zu einem vertieften Nachdenken kommt.
Allerdings haben die Fraktionsvorsitzenden der Union den Verzicht auf eine Gebührenerhöhung beschlossen – und irgendwo muss der BR sparen, so jedenfalls ein beliebtes Argument.
Das ist mir zu einfach argumentiert. Literatur- und Kultursendungen sind kein zentraler Kostenfaktor, eher schon der Kauf teurer Übertragungsrechte und der Unterhalt aufwändiger Strukturen in Zeiten der Trimedialität.
Demnächst dürfte auch die Frage der Klangkörper wieder auftauchen. Man hört, die Sender wollten ihre Orchester der Öffentlichkeit über Stiftungen andienen und sich aus der Finanzierung zurückziehen.
Die Klangkörper des BR sind kulturelle Leuchttürme im Freistaat, gemeinsam mit den staatlichen und privaten Orchestern. Dass das viel Geld kostet, liegt auf der Hand. Aber noch einmal: Ich glaube, dass es zum Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört, die entsprechende Infrastruktur bereitzuhalten. Der Staat unterstützt bereits an vielen Stellen und wird das auch weiterhin tun. Wenn es um die kulturelle Zukunft geht, sind wir immer gesprächsbereit.