Bau der Berliner Mauer: Politischer Bankrott
Mauern sind in der Weltgeschichte immer schon gebaut worden. Der Limes sollte die Barbaren abhalten, Schlösser wurden mit Wällen umgeben, und die Chinesische Mauer war die größte Schutzanlage der Welt. Aber eine Mauer zu bauen, um die eigene Bevölkerung einzusperren? Das, war an Irrwitz und Menschenverachtung weltgeschichtlich einmalig.
Man muss sich die Situation Berlins einmal kurz plastisch vor Augen führen, um zu ermessen, welche Pein sie bei der SED-Diktatur tagtäglich auslöste. "Westlicher Stachel im Fleisch der DDR" sagt sich ja so leicht. Es wäre so gewesen, als hätte der noble Vorort von Bonn, Bad Godesberg, zum sogenannten Ostblock gehört. Dort hätten bis auf die Zähne bewaffnete Sowjets gesessen und die meisten Westdeutschen hätten nur danach getrachtet, so schnell wie möglich ins kommunistische Paradies überzutreten.
West-Berlin ohne den Schutz der Amerikaner, Briten und Franzosen?
Im Oktober 1958 sprach SED-Chef Walter Ulbricht davon, dass die DDR die Hoheitsgewalt für ganz Berlin beanspruche. Dann ergingen sowjetische Noten an die drei Westmächte, die als "Berlin-Ultimatum" Berühmtheit erlangten und den Ost-West-Konflikt in den folgenden Jahren bis an die Schwelle des Krieges führten.
Innerhalb von sechs Monaten, so forderte der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow, müssten die Westmächte der Umwandlung West-Berlins in eine entmilitarisierte "Freie Stadt" zustimmen, also ihre Truppen abziehen.
West-Berlin ohne den Schutz der Amerikaner, Briten und Franzosen? Man benötigte nicht den Hauch von Fantasie, um sich auszumalen, was dies bedeutet hätte. Berlin wäre sofort dem Zugriff der Sowjetunion ausgesetzt gewesen. Konnte ein solcher Erpressungsversuch erfolgreich sein? Tatsächlich waren es die Westmächte wirklich leid, sich ständig mit dem Berlinproblem und den Deutschen herumplagen zu müssen. Ulbricht drängte, doch zu seiner Enttäuschung setzte Chruschtschow sein Ultimatum mehrfach aus, weil er vor den Folgen zurückschreckte.
Unterdessen schwoll der Flüchtlingsstrom aus der DDR immer weiter an. Der SED-Staat blutete regelrecht aus. Die innerdeutsche Grenze war zwar seit Mitte der 1950er Jahre "abgedichtet", doch 95 Prozent der Flüchtlinge aus der DDR verließen das Land durch das Schlupfloch Berlin.
Zwischen 1945 und 1961 hatten dreieinhalb Millionen Menschen die sowjetische Besatzungszone und die spätere DDR verlassen. Besonders jüngere und gut ausgebildete Menschen stimmten mit den Füßen gegen den "Arbeiter- und Bauern-Staat" ab. Moskau machte sich Sorgen. Würde, wenn dieser Vorposten fiele, dann nicht auch Polen, ja ganz Osteuropa verloren gehen? Musste man Ulbrichts Pläne nicht endlich akzeptieren?
Seit den 50er Jahren hatte die SED ein Konzept nach dem anderen entworfen, um das Loch West-Berlin zu stopfen. Doch gleich kamen Chruschtschow wieder Zweifel: Würde eine solche Aktion in der Welt nicht als Bankrotterklärung und ideologische Niederlage des Kommunismus wahrgenommen werden?
Die Lüge vom "antifaschistischen Schutzwall"
Das endgültige Ja zum Mauerbau traf aus Moskau am 6. Juli 1961 in der sowjetischen Botschaft Unter den Linden in Ost-Berlin ein. Längst war in der DDR Material produziert und gehortet worden, immens viel Stacheldraht, unzählige Pfähle und anderer Baustoff. Auch die Logistik war angelaufen, denn ein solches waghalsiges Unternehmen konnte nicht von heute auf morgen oder gar improvisiert durchgeführt werden, sondern benötigte Vorlauf und penible Planung.
Den jungen Erich Honecker setzte Ulbricht als Stabschef der Aktion ein, er hatte für den reibungslosen Ablauf ab dem 13. August 1961 zu sorgen. Er tat dies mit großer Begeisterung und hielt bis an das Ende seines Lebens an der Lüge vom "antifaschistischen Schutzwall" fest.
In den 28 Jahren, zwei Monaten und 27 Tagen ihres Bestehens wandelte sich das Gesicht der Mauer ständig, bevor das Monstrum fiel und die Epoche des Ost-West-Konflikts zu Ende ging. 1963 wurde die ziemlich primitive Hohlblocksteinmauer durch eine erste Betonmauer mit einer Stärke bis zu einem Meter ersetzt.
Ab 1965 kamen Bunker hinzu. Dann wurden auf der nach Westen weisenden Seite der Mauer Kunststoffplatten vorgeblendet.
Ab 1974 - mitten in der Zeit der Entspannungspolitik - ging die SED daran, die dritte Mauergeneration zu errichten: die "Grenzmauer 75", so der Fachterminus, bestehend aus vorgefertigten Stahlbetonplatten mit einem Gewicht von 2,6 Tonnen, die auf einem integrierten Sockel vertikal dicht nebeneinander aufgestellt wurden. Höhe jetzt: 3,60 Meter, Breite 1,20 Meter, Wandstärke 15 Zentimeter, Bekrönung nicht mehr durch hässlichen Stacheldraht, sondern durch ein aufgelegtes Betonrohr. 45 000 dieser Segmente wurden in Berlin verbaut. Aus dem Material hätte man eine kleine Stadt bauen können.
Die Mauer bestand ja aus zwei Mauern. Die eine, eben beschriebene, war die West-Mauer, sie bildete aus Ost-Berliner Sicht den Außenring, während der Innenring durch die Ost-Mauer markiert wurde. Dazwischen lag der bis zu 100 Meter breite Todesstreifen mit elf unterschiedlichen Hinderniszonen. Dazu gehörten: Alarmgitter, Stolperdrähte, die Leuchtkugeln auslösten, einbetonierte Stahlspitzen, Hundelaufanlagen, Panzergräben, Kfz-Fallen, Asphaltstraßen für Patrouillenfahrzeuge. In den 1970er Jahren kamen Selbstschussanlagen hinzu, um Menschen zu töten.
Im Jahr 2000 sollte die "High-Tech-Mauer 2000" entstehen
Die Berliner Kanalisation war zunächst mit Gittern abgesperrt worden, die aber durchkrochen werden konnten. Dann wurden in die Grenzgewässer stählerne Unterwassermatten mit Nägeln und Sperrbojen eingelassen.
Im Jahr 2000 sollte die "High-Tech-Mauer 2000" entstehen: Geplant waren Infrarotschranken, deren Strahlen beim Durchqueren Scheinwerfer einschalten und Alarm auslösen, Sperren aus extradünnen Drahtrollen, in denen sich ein Mensch bis zur Bewegungslosigkeit verfangen kann, wie in der Erde versenkte Sensoren, die Erschütterungen im Umkreis von 500 Metern registrierten oder Vibrationsmeldungsgeber an Metallgittern im Wasser, Mikrowellenschranken für sieben Meter breite Sicherungslinien und elektronische Übersteigsicherungen für die Steckmetallzäune.
Bis zum 9. November 1989 wurden an der Berliner Mauer mindestens 140 Menschen getötet. Wie nie zuvor konnte die Weltöffentlichkeit die Brutalität der DDR-Diktatur so hautnah wahrnehmen wie am 17. August 1962, als vor laufenden Fernsehkameras der 18-jährige Peter Fechter im Todesstreifen angeschossen wurde und in einem grausamen 45-minütigen Todeskampf qualvoll direkt hinter der Mauer an der Kreuzberger Zimmerstraße verblutete.
Obwohl mit dem Bau der Mauer das letzte Schlupfloch geschlossen worden war, sind von August 1961 bis Ende 1988 rund 235 000 Menschen durch "Republikflucht" in die Bundesrepublik gelangt, davon 40 000 als "Sperrbrecher" über die schwer bewachte DDR-Grenze. An der Berliner Mauer waren Schicksale greifbar, Fluchtversuche, die im Kugelhagel der Grenzpolizisten scheiterten, aber auch abenteuerliche, ja tollkühne erfolgreiche Unternehmen mit umgebauten Autos, Motordrachen oder Mini-U-Booten.
In der erfolgreichsten Fluchtaktion durch einen selbst gegrabenen Tunnel gelang im Oktober 1964 insgesamt 57 Menschen die Flucht nach West-Berlin, in einer der spektakulärsten - die darauf in Hollywood verfilmt wurde und vor drei Jahren noch einmal von Michael Herbig - konnten zwei Familien 1979 mit einem Heißluftballon die Freiheit erlangen.
Die Strafverfolgung von DDR-Unrecht ist abgeschlossen
Seit 1990 wurde 15 Jahre lang vor deutschen Gerichten über die Mauertoten und den Schießbefehl verhandelt. Die Prozesse waren skandalös, weil die Hinterbliebenen der Getöteten kaum Aufmerksamkeit fanden und keine angemessene anwaltliche Betreuung als Nebenkläger besaßen. Anders die Täter, die von Deutschlands besten Kanzleien vertreten wurden und im Rampenlicht standen.
Seit 2005 sind sämtliche Ermittlungs- wie auch die gerichtlichen Verfahren erledigt. Die Strafverfolgung von DDR-Unrecht ist abgeschlossen, doch die Bilanz ist bitter: Das Unrecht ist überwiegend nur noch beurkundet, nicht aber geahndet worden.
Seit dem Mauerfall wandelte sich die Mauer: Einstmals war sie das Zeichen von Unterdrückung, seither transformierte sie sich zum Symbol für einen erfolgreichen gewaltfreien Freiheitskampf. Sie steht für das Scheitern und den Untergang des Kommunismus.
Über 95 Prozent der ehemaligen Mauer wurden beim Abbau zerstört, nur einige Hundert Mauersegmente sind komplett erhalten, in Berlin stehen an verschiedenen Orten insgesamt 1,5 Kilometer Mauer. Mauerreste gibt es heute rund um den Globus. Vor dem EU-Parlament steht ein Teil, im Londoner Imperial War Museum ebenso, auch in den vatikanischen Gärten in Rom befindet sich ein Stück.
Sehr viele Mauerstücke kann man in verschiedenen Museen und Institutionen der USA bestaunen, im General Patton Museum bei Fort Knox etwa oder im CIA-Hauptquartier.
Stück Berliner Mauer im Herrenklo eines Casino in Las Vegas eingebaut
In Las Vegas im "Main Street Station Hotel and Casino" hat man ein Stück Mauer im Herrenklo aufgestellt und Urinale daran befestigt. In Guatemala, in Südafrika, in Israel, in Australien, Indonesien und Japan befinden sich Mauerreste. Und Südkorea hat zwei Mauersegmente aufgestellt: das eine am "Berliner Platz" und das andere als Menetekel des Untergangs an der Grenze zum kommunistischen Nordkorea.
Die Vermarktung der Mauer glich einem Wettlauf mit der Zeit, denn mithilfe von Baggern wurden die Grenzanlagen an vielen Stellen maschinell zertrümmert und zu 65 Millimeter großen Bröckchen recycelt, die als Untergrundmaterial zum Straßenbau bestens geeignet waren. So liegt die Mauer - gleichsam als letzter Triumph über den Willen Ulbrichts und Honeckers - als Splitt unter dem Fahrbahnnetz zwischen den alten und den neuen Bundesländern.
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