Bach oder das Geheimnis guter Spaghetti

Wen-Sinn Yang (44) über die berühmten Cello-Suiten, überflüssige Klischees und elementares Kochen
von  Abendzeitung

Wen-Sinn Yang (44) über die berühmten Cello-Suiten, überflüssige Klischees und elementares Kochen

Wenn Cellisten auf Bach zu sprechen kommen, dann werden sie sehr schnell ziemlich ernst. Seine sechs Solosuiten sind so etwas wie der Heilige Gral der Cello-Literatur. Dabei können selbst Anfänger manches Menuett und die eine oder andere Bourrée schrubben. Aber das ist eben nicht der Punkt. Die AZ sprach mit Wen-Sinn Yang, der am Donnerstag drei dieser Suiten in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz spielen wird.

AZ: Was macht den unglaublichen Reiz dieser Suiten aus?

WEN-SINN YANG: Diese Musik ist sehr sparsam, also ganz elementar in puncto Tonumfang, Notenzahl und Rhythmus. Das ist wie beim Spaghetti-Kochen. Tomaten, Öl, Basilikum, Salz, Pfeffer, Parmesan – wenn Sie’s gut machen, haben Sie ein wunderbares Gericht. Und Johann Sebastian Bach hat das fantastisch gemacht. In diesen sechs Suiten ist ein ganzer Kosmos abgebildet. Bach fasst die Musik seiner Zeit zusammen, und das zu bewältigen, ist eine unglaubliche Herausforderung.

Wie passen die Suiten denn zur Vorweihnachtszeit?

Ich gehöre zu den Menschen, die sich zwar auf Weihnachten Freude, den Advent aber als sehr fordernde, stressige Zeit empfinden. Wenn ich die Suiten übe, stellt sich eine innere Ruhe ein. Ich spiele sie zwar, aber gleichzeitig bin ich auch Nutznießer, indem ich sie höre. Genauso kann das Publikum zur Ruhe kommen und Energie tanken.

Geht das wirklich?

Ich dachte auch immer, das ist ein Klischee. Aber diese Reduktion der musikalischen Mittel führt zwangsläufig zu einer Konzentration des Spielers und des Zuhörers. Bach vermeidet extreme Gefühlszustände. Und in einer lauten, völlig mit Reizen überfluteten Welt bleibt diese Musik von Bach stehen wie ein Fels in der Brandung. Seit drei Jahrhunderten zieht sie die Menschen immer wieder an.

Gibt es religiöse Bezüge in den Cello-Suiten?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit gehen würde, aber selbstverständlich schwingt bei Bach in jeder Note die christliche Kultur mit. Ich spüre, dass er ein sehr gläubiger Mensch war.

Der Geiger und Gambist Sigiswald Kuijken sagt, es würde viel zu viel Tamtam um die Suiten gemacht, das sei einfach Tanzmusik, basta.

Dieses Brimborium macht mich schon auch skeptisch. Natürlich liegt die Wurzel in der Tanzmusik, trotzdem unterscheiden sich Bachs Suiten völlig von denen seiner Zeitgenossen. Nehmen Sie etwa die Sarabande der fünften, die ist so was von reduziert. Sicher hat sich Bach da auch eine Art mentale Übung ausgedacht. Alles Unnötige ließ er weg, denken Sie an die Spaghetti.

In diesen Suiten ist ja auch nichts doppelt.

In 42 Sätzen! Das muss man erst mal schaffen.

Nur weiß man nicht, wie sie genau zu spielen sind. Tempi, Fingersätze – alles offen.

Gut, wir haben keine Originalabschrift, das macht die Sache nur geheimnisvoller und eröffnet Chancen. Aber die Vertreter der historischen Aufführungspraxis haben vieles ans Licht gebracht. Und ich finde, man darf auch auf sein musikalisches Gefühl vertrauen.

Haben Sie nicht auch bekannte Cellisten im Ohr?

Als Kind hab ich mir die ganzen berühmten Aufnahmen angehört. Aber so groß die Interpreten sind, man findet letztlich doch seinen Weg.

Spielt Pablo Casals heute noch eine Rolle?

Es wird ja immer behauptet, vor Casals wurde nicht richtig Cello gespielt. Das ist natürlich Unsinn, allein wenn ich an die Virtuosen im 19. Jahrhundert denke. Casals Riesenverdienst ist, dass er die Suiten als erster wieder im Konzert gespielt hat. Wenn man seine Aufnahmen hört – und 1935 war von historischer Aufführungspraxis noch gar nicht die Rede –, finde ich, lag er intuitiv richtig. Einiges würde man heute weniger knorrig spielen, aber das entsprach einfach seinem Charakter. Von romantisierendem Gesülze jedenfalls ist er meilenweit entfernt.

Wie halten Sie’s mit der historischen Aufführungspraxis?

Mitte der 80er Jahre ist sie wie eine Welle über uns geschwappt, und mein Lehrer Wolfgang Boettcher hat aus Überzeugung nochmal umgelernt – und uns Studenten mitgenommen. Ich bin ein Anhänger moderner Instrumente, aber ich habe einen Weg gefunden, auf meinem Instrument Bach mindestens historisch informiert zu spielen.

Ihre Eltern kommen aus Taiwan, Sie sind in Zürich aufgewachsen. Was hat Sie aus den jeweiligen Kulturen geprägt?

Ich glaube, es ist bei mir eine kuriose Mischung. Einmal die deutschsprachige, vielleicht sogar Schweizerisch-spießige Sozialisation...

Jedenfalls sind Sie pünktlich.

Bitte, das ist einfach höflich. Aber im Ernst, mein Vater hat viel Wert darauf gelegt, das wir perfekt assimiliert sind. Leider habe ich dadurch die taiwanesische Sprache verloren. Was mir aber an asiatischer Kultur vermittelt wurde, ist das Essen.

Sie kochen also asiatisch?

Ja, aber meine Mutter ist einfach die beste Köchin. Das sagen zwar alle, aber bei ihr stimmt es wirklich. Ansonsten habe ich flinke Finger (lacht), das gilt doch als asiatisch. Aber mit Klischees sollte man vorsichtig sein. Sonst könnten nur Franzosen guten Ravel spielen und nur die Deutschen Beethoven – das ist natürlich Quatsch.

Interview: Christa Sigg

Allerheiligen-Hofkirche der Residenz, 17.12., 20 Uhr, Bach-Suiten 3, 4 und 5, Karten 26 bis 46 Euro, Tel.0800-5454455

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