AZ-Interview mit Amina Eisner: Vom Wind ins Heute geweht

Scarlett O'Hara ist eine der widersprüchlichsten und stärksten Frauenfiguren des 20. Jahrhunderts als Heldin des Romans von Margaret Michell und seiner Verfilmung "Vom Winde verweht". Wie aber kann diese Geschichte heute erzählt werden - trotz und wegen der rassistischen Abgründe? Der WDR begann vor fünf Jahren, den schwierigen Stoff als Hörspiel zu bearbeiten: "Vom Wind verweht - Die Prissy-Edition" erzählt aus Sicht des versklavten Kindermädchens Prissy.
Dann kam die "Black Lives Matter"-Bewegung und die Redaktion entschied sich, der Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg eine aktuelle Rahmenhandlung zu geben - im heutigen Berlin. Hier leben Prissys Nachkommen, erben ihre Tagebücher und reflektieren das Leben als Menschen mit Migrationshintergrund im heutigen Deutschland. Für diese Ergänzung wurde Amina Eisner gewonnen.
AZ: Frau Eisner, in der "Prissy Edition" verweben sich verschiedene Ebenen - vom Jahr 1860 des amerikanischen Bürgerkriegs bis ins heutige Berlin.
AMINIA EISNER: Ziel war es, dass drei Geschichten nicht mehr ohne die jeweils anderen erzählt werden kann: Die bekannte von Scarlett O'Hara, die vom versklavten Kindermädchen Prissy - und eben die der Familie aus dem heutigen Berlin, die ich entworfen habe: Prissys Nachfahren erben ihre in den 1860er Jahren beginnenden Aufzeichnungen, um eine eigene Familiengeschichte zu begründen, und damit auch die Verantwortung, diese Tradition weiterzuführen.
Wie präsent war Ihnen denn der Roman und der Film?
Ich hatte kurz bevor ich als Autorin angefragt wurde, zufällig gerade die Netflix-Serie gesehen, in der Queen Latifa die erste afroamerikanische Oscar-Gewinnerin spielt: Hattie McDaniel, die in "Vom Winde verweht" die Mammy gespielt hat. Daraufhin hatte ich aus Neugierde etwas weiter recherchiert - aber nur oberflächlich. Dann kam die Anfrage, ob ich als Afrodeutsche meinen Beitrag zu dem Hörspielprojekt schreiben würde und ich habe mir dann den Roman und Teile der Verfilmung angeschaut.
Ihr Beitrag ist jetzt eine afrodeutsche Familie im heutigen Berlin, die die Tagebücher von Prissy erbt.
Ich bin zum Ergebnis gekommen, dass eine ganze Familie einen größeren Zeitbogen in Deutschland spannen kann - vom Großvater bis zu den Enkeln. Wobei der Vater als GI nach Deutschland gekommen ist, den passenderweise dann auch Ron Williams im Hörspiel spricht. Der hat sich in eine Afrodeutsche verliebt, dessen Vater schon in den 20er Jahren als Student nach Berlin kam. Denn es gab in der Weimarer Republik ja schon eine gar nicht so kleine afrodeutsche Gemeinschaft.
Hat man Sie als Autorin ausgewählt, weil Sie aus einer afrodeutschen Familie stammen?
Ja, aber auch, weil ich mit meinem Master of Dramatic Writing in London dazu ausgebildet bin. Aber ich habe mir durchaus überlegt, ob ich das machen soll. Ich fand es problematisch, dass ein Text aus den 30er Jahren, der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt, weitergetragen wird. Margaret Mitchell war zwar keine Rassistin, aber natürlich blieb sie im Zeitgeist befangen und hat Stereotype weitertransportiert. Man muss sich klar machen, dass - vom Geschichtsunterricht angefangen - Schwarze die Geschichte der Schwarzen immer nur als leidvoll erzählt bekommen und überhaupt erst mit der Sklaverei beginnend. Das ist eine traumatische Erfahrung, weil es keine positiven, kaum starke Referenzen für einen gibt. Während es für die anderen bei den Griechen und Römern losgeht, und Geschichte für sie immer etwas Aktives hat mit autonomen Persönlichkeiten, während die Schuld - wie die des Kolonialismus - allenfalls eine Nebenrolle spielt.
Aber Sie haben - bei allem Zweifel - doch zugesagt.
Weil es eine verschenkte Chance gewesen wäre, meine, also eine afrodeutsche Perspektive, nicht einzubringen. Denn ich habe einen Erfahrungswert, den eben jemand ohne afrodeutsche Erfahungen nicht so authentisch haben oder beschreiben könnte wie ich, die ich das ja auch erlebe oder davon in der Community gehört habe - einschließlich der Frage: Machst du genug, bist du laut genug? Und in der Hörspielfamilie ist dann auch eine Tochter politisch aktiv.
Die Stimmen im Hörspiel wurden aber nicht so gecastet, dass Schwarze Schwarze sprechen und umgekehrt?
Nicht im Margret-Mitchell-Teil. Aber in meinem heutigen Berliner-Teil schon. Weil ich fand, dass auch da schwarze Schauspieler stärker eigene Erfahrungen einbringen können. Und selbst - auch als Schauspielerin - habe mir gedacht, dass das eine gute Möglichkeit ist, schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler einzusetzen - in Rollen, die über Migranten-Rollen hinausgehen.
Und haben Sie mit "Vom Wind verweht - Die Prissy-Edition" jetzt ihre Frieden gemacht?
Ja, ich bin mit der entstandenen Balance zufrieden, auch weil das Stück eben eine große Reflexion aus verschiedenen Perspektiven reinbringt.
In Zeiten der Political Correctness sind viele verunsichert, "was man noch sagen darf".
Man darf alles sagen, aber es gibt halt Sachen, die sich anstandshalber nicht mehr gehören. Es bringt nichts, wenn man Menschen verletzt, nur weil man auf seine alte Sprache zurückgreift. Man redet ja von Frauen auch anders als früher. Oder Straßen wurden schon immer umbenannt und müssen sich der Zeit anpassen. Und so ist das jetzt eben auch mit der Bearbeitung und Einbettung von "Vom Wind verweht".
Amina Eisner wurde 1990 in Berlin geboren. Sie studierte nach dem Abitur Schauspiel und Regie in Liverpool. Von ihr stammt unter anderem das Stück "Jung, giftig und Schwarz", in dem sie selbst spielte und Regie führte. 2019 absolvierte Amina Eisner ihren Master in Dramatic Writing in London.
"Vom Wind verweht - Die Prissy Edition": 16 Folgen á 30 Minuten, ab heute Mo bis Do bei WDR3, WDR4 und im WDR-Hörspiel-Speicher