Ausverkauft vom Diktator
Die rumänische Regisseurin Gianina Carbunariu über die Uraufführung ihres Stücks „Sold Out“ im Werkraum, das das Geschäft mit der Flucht thematisiert
Mit dem Stück „Kebab“ – auch an den Kammerspielen zu sehen – hatte Gianina Carbunariu 2007 ihren Durchbruch. Seitdem gilt die 32-jährige Dramatikerin und Regisseurin als wichtigste Stimme der jungen Autoren Rumäniens. Heute bringt sie in eigener Regie im Werkraum ihr neues Stück „Sold Out“ zur Uraufführung. Ausverkauft wurden seit den 50er Jahren bis 1989 ausreisewillige Rumäniendeutsche, für die das Ceausescu-Regime doppelt abkassierte: vom deutschen Staat und von den Betroffenen.
AZ: Frau Carbunariu, wie sind Sie auf das Thema gestoßen?
GIANINA CARBUNARIU: Vor drei Jahren habe ich ein Interview in einer rumänischen Zeitung gelesen mit einem Emigranten in Berlin. Ich wusste, dass unter Ceausescu viele Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben Rumänien verlassen haben. Aber ich wusste nicht, unter welchen Bedingungen. Das Thema ist heute noch in Rumänien tabu. Ich habe recherchiert und Leute befragt: Rumänen, deren Verwandte ausgewandert waren, Auswanderer, die auf Besuch waren oder nach Rumänien zurückgekehrt sind, Emigranten in München und Stuttgart. Aus dem dokumentarischen Material habe ich eine fiktive Geschichte entwickelt.
„Sold Out“ meint die Tatsache, dass Rumäniendeutsche die Ausreisegenehmigung meist nur gegen Schmiergelder bekamen – oft mussten sie Haus und Besitz abtreten.
Die Russen schickten nach dem Krieg viele Rumäniendeutsche nach Sibirien. Weil andererseits viele von ihnen Verwandte in Deutschland hatten, hat die deutsche Regierung zur Familienzusammenführung Kopfgelder zwischen 2000 und 50000 Dollar für Ausreisewillige bezahlt. Aber um auf die Liste der Berechtigten zu kommen, zahlten diese inoffiziell noch einmal an die Geheimdienst-Agenten der Securitate. Viele der Interviewten wollten anonym bleiben, weil manche Agenten heute noch tätig sind.
Haben Sie den Text mit den Schauspielern erarbeitet?
In Rumänien entwickle ich normalerweise mit den Schauspielern über Improvisationen den Text. Aber da ich nicht Deutsch spreche, war es wichtig, hier etwas Geschriebenes zu haben.
Wie funktioniert das ohne Deutsch beim Inszenieren?
Wir sprechen alle Englisch. Meine Choreografin ist auch Rumänin, da schwirren oft Englisch , Deutsch und Rumänisch durch den Raum. Natürlich ist es schwieriger, in einer fremden Sprache an den Nuancen zu arbeiten.
In Bukarest arbeiten Sie seit acht Jahren in dem Regiekollektiv DramAcum.
Das haben wir zu fünft als Studenten gegründet. Der Name ist ein Wortspiel aus „Theater jetzt“ und „Theater – wie?“ Wir entwickeln Stücke mit jungen Autoren, machen Workshops und Diskussionen mit dem Publikum.
Welcher Art sind Ihre Projekte?
Letzten Oktober haben wir in der Stadt Targu-Mures in Transsylvanien gearbeitet. Das ist eine Enklave in Zentralrumänien, deren Einwohner zur Hälfte rumänisch und zur Hälfte ungarisch sind. Dort gab es 1990 einen ethnischen Aufstand: Weil Ceausescu die ungarische Minderheit massiv unterdrückt hatte, ist der Konflikt nach der Revolution explodiert. Ich habe mit meinen Schauspielern und fünf ungarischen Darstellern gearbeitet, die zum Teil selbst bei den Aufständen dabei waren. Auch das Publikum waren immer Ungarn und Rumänen, mit denen wir nach den Aufführungen diskutiert haben. Für mich ist das genauso wichtig wie die Aufführung – ich will das Theater für größere Themen öffnen.
Gabriella Lorenz
Werkraum, heute 20 Uhr, Restkarten Tel. 233 – 966 00
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