Ausstellung "Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht": Nicht ausruhen!

Das Literaturhaus zeigt die Ausstellung "Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht".
von  Anne Fritsch
Die ungemein produktive Schriftstellerin: Simone de Beauvoir am Schreibtisch (1945).
Die ungemein produktive Schriftstellerin: Simone de Beauvoir am Schreibtisch (1945). © Gallimard Collection Sylvie le Bon de Beauvoir

"Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es", schrieb Simone de Beauvoir in ihrem Mammutwerk "Das andere Geschlecht". "Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt."

Es ist das vielleicht berühmteste Zitat aus dem 900-Seiten-Buch, das seit seinem Erscheinen 1949 zu einem Standardwerk des Feminismus geworden ist. Frausein bedeutet für Beauvoir: kämpfen müssen um Anerkennung, um Sichtbarkeit, um Gleichberechtigung.

Simone de Beauvoir wollte uralte Hierarchie nicht hinnehmen

Schon der Titel weist darauf hin, worum es ihr geht: Der Mann ist die Norm, die Frau hingegen "das andere". Ob Literatur, Religion, Philosophie: Das Bild von der Welt, mit dem sie aufwuchs, war ein von Männern gemachtes. Diese uralte Hierarchie wollte sie nicht hinnehmen. Aus biologischen Unterschieden dürften keine sozialen oder gesellschaftlichen entstehen, so ihr Credo.

Beauvoir lebte mit Jean-Paul Sartre in einer Beziehung, die man heute wohl "offen" nennen würde und die doch (und auch wenn die beiden sich zeitlebens siezten) eine sehr verbindliche war. Sie trat öffentlich für das Recht auf Abtreibung ein und engagierte sich in der Frauenbewegung. 1971 unterzeichnete sie die öffentliche Erklärung "J'ai avorté" im Kampf für eine neues Abtreibungsgesetz in Frankreich.

Eine Idee, die von Alice Schwarzer nach Deutschland gebracht wurde und im Juni desselben Jahres zu dem berühmten Stern-Cover "Wir haben abgetrieben!" führte: 374 Frauen, darunter Prominente wie Romy Schneider, bekannten sich zu ihrem Schwangerschaftsabbruch: der Beginn einer modernen Frauenbewegung in Deutschland.

Nach Hannah Arendt nun Simone de Beauvoir im Literaturhaus

Wenn man Beauvoirs Buch heute liest, sieht man, wie viele Entwicklungen sie angestoßen hat. Aber auch, dass noch viel zu tun ist hin zu einem Ideal der gleichen Rechte. "Wir können uns nicht ausruhen auf dem, was ihre Generation errungen hat", so Tanja Graf, die Leiterin des Münchner Literaturhauses. Man sehe nur auf die neuen Abtreibungsgesetze in Polen und in den USA.

Drei Tage vor Weihnachten hat das Literaturhaus jetzt eine neue Ausstellung eröffnet: "Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht". Nach Hannah Arendt widmet sich auch diese Schau einer großen weiblichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Hier wie da geht es Tanja Graf darum, "historische Werke vorzustellen und einen Bezug zur Gegenwart herzustellen".

Dieser Bezug ist bei Beauvoir ohnehin mehr als klar. Auch wenn wir heute andere Selbstverständlichkeiten haben als in den 1950er Jahren: Die Debatte um Selbstbestimmung, um Gender und Freiheit wird weiter geführt. Auf einer anderen Ebene als damals, aber mit den gleichen Zielen.

Teile der Ausstellung bereits in Bundeskunsthalle Bonn zu sehen

Die Ausstellung, die in Teilen bereits in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen war, in Teilen eigens fürs Literaturhaus gestaltet wurde, widmet sich der Person Beauvoir, ihrer Biographie und ihrem Umfeld, der weltweiten Rezeption des Werkes und ihrer Wirkung auf die Frauenbewegung.

Wie aber kann man ein beinahe tausendseitiges hochkomplexes Werk in einer Ausstellung erlebbar machen? Tanja Graf und Anna Seethaler haben fünf exemplarische Zitate herausgegriffen. Auf pinken Stelen sind diese geschrieben, in von Caféhäusern inspirierten Winkeln kann man sich anhören, was Frauen von heute zu diesen Sätzen einfällt, was sie inspiriert, was sie kritisieren.

Einladung zum Dialog mit Simone de Beauvoir

Diese Ausstellung ist vor allem eins: eine Einladung zum Dialog mit Simone de Beauvoir, zum Weiterdenken ihrer Thesen und auch zum Weiterkämpfen. "'Le deuxième sexe' bietet uns ein Werkzeug, mit dem wir die Verhältnisse, in denen wir leben, auf die Gleichberechtigung und daran anknüpfend auf die Freiheit der Geschlechter hin prüfen und hinterfragen können", so die Philosophin Lea-Riccarda Prix.

In einem Winkel hinten in der Ausstellung kann man den bemerkenswerten Dokumentarfilm "Simone de Beauvoir live" von Alice Schwarzer aus dem Jahr 1973 sehen. Allein dieser Film lohnt den Besuch. Wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir auf einer Dachterrasse in Rom über die Spielregeln ihrer Beziehung sprechen, über die Frau, der unterstellt wird, nur durch den berühmten Mann an ihrer Seite selbst schreiben zu können, und über ihren Umgang mit den anderen, Frauen wie Männern, ist absolut sehenswert. Man bekommt den sehr lebendigen Eindruck einer Frau, die sehr genau weiß, was sie will und welche gesellschaftlichen Regeln sie durchbrechen will.

Es sind diese vielen Stimmen und Perspektiven auf Beauvoir, die ihr Werk lebendig machen und in die Gegenwart überführen. Ein Zeitstrahl an der Wand zeigt Meilensteine und Rückschläge der Frauenbewegung, lädt dazu ein, Entwicklungen zu erinnern und weiter in eine Zukunft zu denken. Post-its und Stifte liegen bereit. Die Geschichte kann und will fortgeschrieben werden.


Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, bis 30. April. Mo bis So 11 bis 18 Uhr, Eintritt 7 Euro

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