Außerordentlicher Kraftakt
Alban Bergs "Wozzeck" bei den Opernfestspielen im Nationaltheater
Es wirkt seltsam, wenn ein hundertköpfiges Orchester, teure Sänger und der übrige Opernluxus aufgeboten werden, um dem Publikum zu Höchstpreisen die Tragödie der Armut auszumalen. Aber sei's drum: Alban Bergs „Wozzeck" führt exemplarisch vor Ohren, was wir an Kent Nagano haben: Die eigenwillige Farbenpracht der Partitur leuchtet impressionistisch, aber dank Staatsorchesters fehlt es an romantischer Wärme nicht.
Der instrumentalen Perfektion entspricht die außerordentliche Besetzung: Michael Volle geht in Wozzecks Verletzlichkeit auf. Seine Leistung ist nicht nur ein bewundernswürdiger Kraftakt, er rührt auch emotional. Angela Denoke wirkt als Marie zerbrechlicher als ihre hochdramatisch-gesunde Vorgängerin Michaela Schuster.
Ein erster Höhepunkt der Ära Bachler
Zwei Schwachpunkte hat die Aufführung aber: Bei Clive Bayleys Doktor bilden die dürre Erscheinung und die schlanke Stimme eine Einheit. Nur gebricht es ihm an der gemütlich-gefährlichen Komik, die Berg komponiert hat. Ähnlich verhält es sich mit dem parodistischen Heldengeschmetter, das Jürgen Müllers Tambourmajor nicht zur Verfügung steht. Den „Jäger aus Kurpfalz" könnte der Chor durchaus präziser singen. Aber das minderte den starken Eindruck nicht. Dieser von Andreas Kriegenburg als expressionistisches Sozialdrama inszenierte „Wozzeck" ist als packendes Musiktheater ein Höhepunkt der ersten Bachler-Saison am Nationaltheater.
RBR
- Themen:
- Kent Nagano
- Nationaltheater