Aus Liebe zu den Münchnern
Philharmonie: Dirigent Christian Thielemann mit Beethovens wunderbarer Neunter
Die zum Stadtgeburtstag von Beethovens Neunter zu umarmende Menschheit sollte aus Stadträten, Förderern, Ehrenamtlichen und Los-Gewinnern formiert werden. Über dem Verfahren der Kartenvergabe liegt Dunkel. Aber im Licht der Philharmonie bestätigte sich, dass wenig geschätzt wird, was nichts kostet: Rund ein Viertel der verschenkten Plätze blieben unbesetzt, während draußen Interessierte vergeblich „Karte gesucht“-Schilder hochhielten.
Ein kundiges Publikum kam dennoch zusammen: Unruhe entstand, als Christian Ude in seiner Begrüßung Beethovens Symphonie mit der „Ode an die Freude“ und dessen Eroica durcheinander brachte. Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschovici wies den OB auf seinen Irrtum hin, ehe dieser mit korrekten Bemerkungen über den historischen Missbrauch der Festmusik fortfuhr.
Christian Thielemann gelang danach das Wunder, dieses vielfach abgespielte Werk wie neu entstehen zu lassen. Mit leicht veränderlichem Tempo inszenierte er dramatische Kämpfe im Kopfsatz. Nach einem Ruhepunkt der Holzbläser betonte er den Trauermarsch-Charakter beim letzten Aufbäumen des kantigen Themas und verwandelte den Schlussakkord in ein Fragezeichen für das Kommende.
Beethoven-Neulinge überwältigte die dramatisch-spontane Wucht der Steigerungen, Fortgeschrittene durften, obwohl die Aufführung nicht überprobiert wirkte, ausgefeilte Details bewundern: Das Trio des unwirschen Scherzo verstand Thielemann als Ahnung des langsamen Satzes, den er mit Ruhe zelebrierte. Im Finale zwang er das erste Erscheinen der Freudenmelodie mit dem hartnäckig widersprechenden Fagott-Solo zur höheren Einheit zusammen.
Unter den Solisten wurde wie üblich der Tenor (Steve Davislim) ein Opfer der Massen, während sich Krassimira Stoyanova, Lioba Braun und Guido Jentjens wacker gegen den von Andreas Herrmann trefflich studierten Philharmonischen Chor durchschlugen. Schade, dass die am Ende auf dem Podium orgiastisch überschäumende Freude vom zahlenden Publikum nicht geteilt werden kann, weil Thielemanns Bayreuther „Ring"-Pflichten öffentliche Wiederholungen ausschließen.
Selbst ärgert sich der Dirigent darüber womöglich am meisten. Wegen des kurzfristig umgeworfenen Programms bei „Klassik am Odeonsplatz“ erhielten die Philharmonikern viele Protestbriefe. Thielemanns Umfeld versichert glaubhaft, dass er die abgesetzten Tschaikowsky-Stücke gerne dirigiert hätte. Sein Agent habe ihn aber für „Ring"-Proben disponiert, ohne die Dopplung zu bemerken. Von der Berliner Agentur Cami, die das Schlamassel herbeiführte, will sich Thielemann nun trennen. Das ist ihm die Liebe der Münchner wert.
Robert Braunmüller