Aus dem Kurschatten herausgetreten

Drei Streichquartette beim Festival „Alpenklassik“ in Bad Reichenhall in unmittelbarer Nachbarschaft der Salzburger Groß-Konkurrenz
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Drei Streichquartette beim Festival „Alpenklassik“ in Bad Reichenhall in unmittelbarer Nachbarschaft der Salzburger Groß-Konkurrenz

Es ist mutig, in Hörweite weltberühmtester Festspiele noch eine Sommer-Konzertreihe aufzuziehen. Trotz der Nähe zu Salzburg urlaubt im Berchtesgadener Land kaum typisches Kammermusik-Publikum. Rentner und norddeutsche Familienurlauber gehen früh zu Bett. Deshalb gibt’s im den goldenen Siebzigern nachtrauernden Bad Reichenhall nach der Musik kaum warmes Essen. Die Fußgängerzone abends um halb neun ist so leer wie anderswo früh um vier.

Im Strumpfgeschäft und den Apotheken prangen die Künstler von „Alpenklassik“. Ein vor den nachbarlichen Festspielhäusern allgegenwärtiger Sponsor hat eines seiner Automobile vor das Königliche Kurhaus abgeordnet. Drin ist der Festsaal nur in der vorderen Hälfte bestuhlt, und am Rang sitzt gar niemand.

Lebendes Programmheft

Das macht die Atmosphäre familiär: Klaus Lauer, Gründer der Römerbad-Tage, hat sein Hotel in Badenweiler verkauft und ist nach Reichenhall gekommen, um dem 2004 gegründeten Festival neuen Schwung zu verleihen. Er begrüßt das Publikum als lebendes Programmheft mit einer knappen Einführung oder spricht mit einem Künstler.

Das Berliner Kuss Quartett, das Zemlinsky Quartett aus Prag und das spanische Cuarteto Casals aus Madrid hätten auch in Salzburg Ehre eingelegt. Alle drei haben vom legendären La-Salle-Primarius Walter Levin gelernt, der seinen Schützlingen zuhörte und selbst Alexander von Zemlinskys Quartett Nr. 2 vorstellte.

Alle drei jungen Ensembles vereinten analytische Durchdringung mit einer enorm farbigen Klangschönheit. Es war eine gute Idee, sie nicht im Gänsemarsch, sondern in jedem der drei Konzerte nebeneinander auftreten zu lassen. Und die Kollegialität machte auch Mendelssohns Oktett und ein wunderbares Dvorák-Quintett möglich, für das sich die Tschechen den Casals-Bratscher Jonathan Brown ausliehen. Für zeitgenössische Würze sorgten musikalische Aphorismen von György Kurtág, die von den Zuhörern wie Klassiker gefeiert wurden.

Das Kuss Quartett spielte den Ungarn eine Spur schneidender als die Spanier und faszinierte mit konzentrierter Ruhe im letzten der „Drei Stücke“ von Igor Strawinsky. Dann versetzte die herbere Brillanz des Cuarteto Casals im fulminanten Allegro molto von Beethovens Quartett op. 59 Nr. 3 in Staunen. Statt Blumen gab es salzige Körperpflegemittel. Soviel Kurort muss sein. Ab heute gehört Reichenhall dem Komponisten Jörg Widmann. Nächstes Jahr wird Bach romantisch umkreist.

Robert Braunmüller

Infos unter www.alpenklassik.de und ww.vereinalpenklassik.de

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