Aufregende Zukunftsmusik
Sensationell: Puccinis „Tosca“ an der Frankfurter Oper unter dem Dirigenten Kirill Petrenko, der 2013 als Nachfolger von Kent Nagano ans Nationaltheater wechselt
Vorschusslorbeeren sind gefährlich. Aber in dem Fall können wir nicht anders. Was der künftige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in Frankfurt mit Puccinis „Tosca“ anstellt, ist atemberaubend.
Die harsch übereinander gewuchteten Akkorde des Scarpia-Motivs am Beginn der Oper kamen brutal, aber zugleich kontrolliert. Auch später wirkte nichts überdreht oder übersteuert. Im Gegenteil: Kirill Petrenko motivierte das herausragend spielende Opernhaus- und Museumsorchester immer wieder zu einer bewundernswerten Zurückhaltung, wie etwa beim berückend zart gespielten Klarinetten-Solo am Beginn der Arie „E lucevan le stelle“.
Petrenko heizt das Drama zur Weißglut auf und kühlt es in der nächsten Sekunde wieder ab. Die rasch wechselnden Stimmungsbilder gehen nicht auf Kosten des großen Bogens. Der Russe begleitet die Sänger mit unmissverständlichen Zeichen, lässt ihnen trotz forscher Tempi Luft zum Atmen, duldet aber kein selbstzweckhaftes Verweilen auf hohen Tönen. Süßes kam nicht kitischig, die abgeblendet-impressionistischen Farben am Ende des zweiten Akts und in der Morgendämmerung des dritten wurden endlich mit der Liebe behandelt, die ihnen gebührt. Auch den Frankfurter Musikern scheint es gefallen zu haben: Es geschieht kaum alle Tage, dass sie dem Dirigenten gleich nach dem Schlussakkord trampelnd und klopfend applaudieren.
Kein starker Kriegenburg
Leider fand das Drama überwiegend im Orchestergraben statt. Die fragile Erika Sunnegårdh machte besser als die meisten ihrer Kolleginnen die übermenschliche Anstrengung deutlich, mit der sich Tosca gegen den zudringlichen Polizeichef wehrt. Aber ausgerechnet in der Arie „Vissi d’arte“ flackerte die Stimme mehr als nötig. Der robust singende Aleksandrs Antonenko (Cavaradossi) hat zwar eine strahlende Höhe, doch seine Fähigkeit zur Gestaltung wirkt vorläufig eingeschränkt. Jason Howard war weder lüstern, noch elegant oder dämonisch und blieb mit seiner hellen Stimme einfach blass. Für den Scarpia ist das zu wenig.
Puccinis „Tosca“ ist ein bis ins letzte Detail sorgfältig motiviertes Stück. Regie-Subjektivitäten sind da heikel. Andreas Kriegenburgs Inszenierung überzeugte mit genauer Psychologie, verstrickte sich im zweiten Akt aber in handwerkliche Widersprüche. Man kann schlecht den (stummen) Henker Roberti streichen, weil Scarpia mehrfach lautstark nach ihm verlangt. Und iPhones werden auf der Bühne langsam echt ein bisserl fad.
Überzeugender gelang der dritte Akt, in dem sich der Regisseur echte Freiheiten herausnahm und das anfangs freundliche Naturholz der Kirche Sant’Andrea und des Palazzo Farnese mit frischen Särgen in Verbindung brachte (Bühne: Harald Thor). Der Hirtenknabe war ein Todesengel. Tosca sprang nicht von der Engelsburg, sondern wurde geschmack- und effektvoll mit einem herabfallenden roten Tuch weggeblendet.
Zu Kriegenburgs Gunsten nehmen wir an, dass er sich seine besten Einfälle für den Münchner Nibelungen-„Ring“ 2012 aufspart. Wenn Petrenko hält, was diese Aufführung verspricht, haben die Bayerische Staatsoper und ihr Publikum das große Los gezogen. Vorläufig macht sich der Zukünftige rar: Die für Mai angekündigten Repertoire-„Toscas“ hat er wieder abgesagt. Um die Spannung zu steigern.
Robert Braunmüller
Oper Frankfurt, 21., 27. 1., 5., 11. 2., Tel. (069) / 212 49 49 4