Auf Tuchfühlung mit den Geistern

Übersinnliche Spurensuche in Fernost: Michael Hirschbichler in der Galerie Karin Sachs.
von  Roberta De Righi
Geisterspuren zwischen Steinritzen? Der Künstler Michael Hirschbichler ging in seiner Serie "Spirit Cloth" in Kyoto Geisterorten auf den Grund.
Geisterspuren zwischen Steinritzen? Der Künstler Michael Hirschbichler ging in seiner Serie "Spirit Cloth" in Kyoto Geisterorten auf den Grund. © Michael Hirschbichler

Dass auf der nördlichen Seite der Hackerbrücke, an der Grasserstraße, bis 1808 Münchens Galgen stand, ist nicht sehr bekannt. Dass an jener Stelle Passanten Angst vor den Geistern der Verstorbenen haben, eher die Ausnahme.

Anders in Japan: Dort sind Animismus und Geisterglaube weit verbreitet - gerade an Orten, die mit gewaltsamem Tod verbunden sind. Michael Hirschbichler ist fasziniert davon, wie stark dies im Alltagsdenken vieler Japaner verwurzelt ist, und "das Nicht-Faktische real wirksam wird".

Der 1983 in München geborene Künstler nutzte die Zeit des ersten Lockdown für ein lange gehegtes, dreigeteiltes Kunst-Projekt: Unter dem Titel "Drei Tage Herbst" präsentiert die Galerie Karin Sachs derzeit die Zeugnisse seiner künstlerischen Spurensuche.

Michael Hirschbichler besuchte zahlreiche Geisterorte

Hirschbichler, der nach einem Architekturstudium in Berlin und Zürich nach Papua-Neuguinea ging und über "Mythische Konstruktionen - über Kult- und Geisterhäuser" promovierte, hat ein ethnologisches Interesse für Übersinnliches - als "kulturelle Konstruktion". Während eines dreimonatigen Aufenthaltes in Japans alter Kaiserstadt Kyoto 2019 setzte er sich intensiv mit Geistergeschichten an Schauplätzen innerhalb der Millionenmetropole auseinander.

In Japan umfasst die Welt der Erscheinungen sowohl Yokai, allerlei tierähnliche Ungeheuer und Kobolde, als auch Yurei, die Geister Verstorbener. Dass jenseits des Sichtbaren eine weitere Realitätsebene existiert, ist für viele kein Aberglaube. Und beeinflusst ganz konkret das Handeln: So sollte man etwa am Midoro-ga Teich in Kyoto auf keinen Fall stolpern, sonst droht der Tod.

Mit seiner Kamera besuchte der Künstler weitere Geisterorte, etwa den Toribeno-Friedhof: Dort lag früher Kyotos Hinrichtungsstätte - wo die Toten den Vögeln überlassen wurden. Außerdem suchte Michael Hirschbichler nach einem künstlerischen Verfahren, Phantom-Spuren sichtbar zu machen: Auf Tuchfühlung mit den Geistern.

Hirschbichler hat historische Geistererzählungen ins Deutsche übersetzt

Für sein Projekt griff er auf weißen Leinenstoff zurück, der in Japan als das Gewand der Geisterfrauen gilt. Auf dieses scannte er die Randbereiche von Geister-Darstellungen aus der Edo-Zeit und ließ zusätzlich die Natur vor Ort direkt einwirken: Er legte das textile Medium stundenlang ins Wasser, buddelte es in die Erde ein, stopfte es zwischen Steinritzen. So lagerten sich ähnlich wie bei der Belichtung von Fotogrammen Spuren ab.

Als drittes Medium wählte der Künstler die Sprache: Er übertrug historische Geistererzählungen aus dem "Ugetsu Monogatari" mittels Übersetzungstools ins Deutsche - und ließ sie anschließend durch eine versierte Übersetzerin zurück ins Japanische übersetzen. Da ist Verunklärung Programm. Was übrig blieb an kenntlichen Versatzstücken, ist vergleichbar mit den visuellen Spuren im "Geistergrund": Man sieht nichts, aber kann vieles erahnen.


Bis 10. Juli, Galerie Karin Sachs (Augustenstraße 48) Mi- Fr 12 bis 18, Sa 13-16 Uhr oder nach Vereinbarung unter 0171/6820178

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