Auf die Größe kommt es an

Machtmensch, Narziss, Gefühlskrüppel: Clint Eastwood gelngt mit „J. Edgar” ein vielschichtiges Porträt
von  Florian Koch

Machtmensch, Narziss, Gefühlskrüppel: Clint Eastwood gelingt mit „J. Edgar” ein vielschichtiges Porträt

Was macht man als kleingewachsener Arbeitgeber, wenn man beim Vorstellungsgespräch Größe zeigen will? Ganz einfach, man lässt still und heimlich einen Aufsatz unter den Schreibtisch schieben. Diese skurrile Anekdote aus dem Arbeitsalltag des ehemaligen FBI-Chefs J. Edgar Hoover mag vielleicht nicht von epochaler Bedeutung sein, aber sie sagt viel über seine Persönlichkeit aus.

Wer sich Hoover in einer filmischen Biografie annähern will, der steht vor einer schwierigen Aufgabe. So öffentlichkeitswirksam der Mann mit der Maschinengewehr-Stimme und den verbohrt-reaktionären Ansichten die Politik der Vereinigten Staaten über 48 Jahre geprägt hat, so wenig weiß man doch über den Menschen Hoover.

Clint Eastwood geht diesem Problem in „J. Edgar” mit einer listigen Erzählweise aus dem Weg. Er lässt den Mann über Hoover erzählen, der ihn am besten zu kennen glaubt: Hoover selbst. In einer entlarvenden Mischung aus Egomanie und Selbstbetrug lässt J. Edgar, der acht Präsidenten überlebte, sein Leben Revue passieren. Und Eastwood ermutigt den Zuschauer dabei, zwischen den Bildern zu lesen – was allerdings einiges an Geschichtswissen voraussetzt.

Das Porträt des machtbesessenen Kommunistenhassers ist ein gefundenes Fressen für einen Charakterdarsteller wie Leonardo DiCaprio. Brillant imitiert der Superstar Gestik, Mimik und Sprechweise von Hoover, und selbst unter tonnenweise Make-Up wird seine Figur nie zu einer Karikatur.

Minutiös arbeitet Eastwood heraus, wie Hoover das F.B.I erneuert hat: Er setzte gezielt auf mediale Propaganda, verschärfte die Abhörtechnik und revolutionierte die Spurensicherung. Und wenn ein Holzforscher Hoover seine bizarre Methodik erklärt, dann scheint bei Eastwood auch etwas Humor durch.

Aber auch das Privatleben kommt nicht zu kurz, Hoovers bedingungslose Mutterliebe soll dazu geführt haben, dass sich der Pedant seine Gefühle für den adretten Tolson nie eingestand. Und das zeigt dann doch, wie klein(geistig) Hoover – trotz Schreibtischaufsatz – war.

Kino: Cinema (OV), Museum Lichtspiele (OV), Mathäser, Münchner Freiheit
R: Clint Eastwood (USA, 137 Min.)

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