Auf der Suche nach höchster Perfektion

Tiefgekühlt lagert Herbert von Karajans Film-Erbe in Unterföhring. Nun wird es zu seinem 100. Geburtstag wieder aufgetaut.
von  Abendzeitung

Tiefgekühlt lagert Herbert von Karajans Film-Erbe in Unterföhring. Nun wird es zu seinem 100. Geburtstag wieder aufgetaut.

„Die Negative sind unser Heiligtum“, sagt Jan Mojto. „Sie lagern bei minus sieben Grad in einem riesigen Gefrierfach und können wie Ötzi im Eis Jahrhunderte überdauern.“

Mojto war Leo Kirchs rechte Hand. Heute produziert er TV-Epen wie „Rom“ oder „Krieg und Frieden“. 2003 erwarb er aus der Konkursmasse seines Lehrmeisters die 1965 von Karajan und Kirch gegründete Unitel, von der sieben Opern und 41 Konzerte auf Zelluloid gebannt wurden.

„Den Kaufmann einte mit dem Künstler ein Ziel: Beide wollten Perfektion“, erinnert sich Mojto. Am Schnitt der Musikfilme wurde Monate, zum Teil Jahre gefeilt. „Dank ihrer Weitsicht wurde auf 35-mm-Film aufgenommen. Die Negative genügen heute den hohen Anforderungen von High-Definition und der kommenden Blu-Ray-Disc.“ Heute werden Opern oder Konzerte live mitgeschnitten. Karajan und Kirch verfrachteten die Inszenierungen noch ins Studio, wo unter Film-Bedingungen täglich zwischen drei und fünf Filmminuten entstanden. „Fast jede Orchesterstimme wurde mit einem eigenen Mikrofon aufgenommen.

Im Archiv lagern pro Produktion über 100 Tonspuren. Sie wurden bei der Einführung der VHS-Cassetten in Stereo und zuletzt für DVD in 5.1.-Technik neu abgemischt.“ Für ihre Wiederveröffentlichung im Karajan-Jahr wurden die Bänder monatelang langsam aufgetaut und wieder eingefroren.

Die durch Notstromaggregate abgesicherte Lagerung und Pflege des Archivs kostet jährlich mehrere 100 000 Euro: Musikfilme sind eine Investition ohne kurzfristige Rediten. Mojtos Favorit ist das Verdi- Requiem, das Karajan mit dem französischen Thriller-Regisseur Henri-Georges Clouzot („Lohn der Angst“) aufnahm: „Das Werk passt zum schwermütigen Pathos der Bildsprache Karajans. Sie bewegt mich noch immer tief.“ 1981 trennten sich dieWege von Kirch und Karajan, der sein Repertoire noch perfekter wiederholen wollte. Wagners „Rheingold“, 1978 mit Millionenaufwand in den Bavaria- Studios aufgenommen und erst 1981 fertiggestellt, rundete sich nie zum vollen Nibelungen- „Ring“.

Karajan gründete mit Sony eine neue Firma für Laserdiscs, Jean-Pierre Ponnelle verfilmte für die Unitel Opern weniger steif. Kirch setzte auf Leonard Bernsteins medialen Zauber. Mojto ist heute glücklich, sowohl Karajans Ernst wie Bernsteins Vitalität tiefgekühlt zu verwahren.

Der 1948 im slowakischen Nitra geborene Produzent, der auch den Pay-TV-Sender Classica betreibt, spielte früher selbst Geige. Mojto glaubt entgegen dem Naserümpfen von Puristen an die Zukunft der Konzert-Aufzeichnung in Bild und Ton, die mit Karajan begann: „Die neue High-Definition- Technik bringt auf DVD einen Klang, der die CD übertrifft.“ Wer nicht hinschauen will, kann ohne Ton lauschen.

Die üppige Unitel-Verfilmung von Puccinis „La Bohème“ mit Anna Netrebko und Rolando Villazón soll im Herbst in die Kinos kommen. Mojto dokumentierte zuletzt Barenboims Arbeit mit dem israelisch- palästinensisch gemischten West-Eastern Divan Orchestra und Konzerte der Geigerin Anne-Sophie Mutter. Besonders schätzt er Christian Thielemann: „Bei ihm spüre ich einen ähnlichen Perfektions- Anspruch wie bei Karajan. Und beide haben die Kapellmeister- Ochsentour durch die Provinz gemeinsam..“

Zuletzt beobachtete er Thielemann bei einer Aufzeichnung der „Meistersinger“ in Wien. Otto Schenks Inszenierung kannte er schon, und so setzte er sich in eine Loge über dem Orchester: „Es waren die kurzweiligsten fünfeinhalb Stunden meines Lebens.“ Eingefroren werden die Filme mit dem ehemaligen Karajan- Assistenten nicht mehr: Digitales lagert heute auf Servern.

Robert Braunmüller

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