Auf der Kippe
Vielleicht ist der spätmoderne Sisyphus doch ein glücklicher Mensch? Die Pinakothek der Moderne zeigt unter dem Titel „Naked Nation“ drei neue Videos und eine Installation von Thomas Steffl
Für Menschen, die gerne kopfüber Loopings drehen, gibt es jetzt eine Alternative zur Wiesn: Thomas Steffls Projektion „Sommersault Minsk“ in der Pinakothek der Moderne. Darin schwingt die Kamera auf einer Schiffschaukel durch ein Abbruchhaus – und garantiert halsbrecherischen Überschlag in der Endlosschleife.
Dabei hat der Münchner Künstler (39) mit vordergründigem Fun nichts am Hut. Zwar macht Steffl seit seiner Videoinstallation „Modell Homburg“, in dem er das Innere eines Hutes zur Carrera-Bahn für die Kamera machte, immer wieder den Bewusstseinszustand des Schwindels zum Thema. Letztlich ist seine Kunst aber eine nüchtern-präzise Versuchsanordnung.
Nun zeigt Steffl drei neue Videos und eine Installation, die sich stimmig zur Ausstellung abrunden. Und sein Lieblingszustand ist eben, wenn etwas auf der Kippe steht. Der Moment des „Ungleichgewichts“, so Steffl, zwischen Stillstand und Taumeln – so wie im berühmten Video „Der Lauf der Dinge“ der Schweizer Künstler Fischli & Weiss.
Die Unmöglichkeit von Utopie
Und dieses Ungleichgewicht ist auch eine Ambivalenz, etwa im kurzen 2-Kanal-Video „Baumfrau“: Da streift die eine Kamera durch den Wald und hält erst an bei einer Baumfällung; daneben sieht man eine bis auf die Schuhe nackte Frau mit einem Stock in der Hand durch einen Birkenhain pirschen. Eine scheinbar zweckfreie Handlung, die dennoch eine Ahnung davon gibt, dass hier einerseits Natur als vermeintliches Paradies vorgeführt wird. Und zugleich den Versuch zeigt, allen Konventionen zu entkommen und nackt zu einer ursprünglichen Natürlichkeit zurückzukehren.
Doch das Paradies ist die Hölle unserer Ängste – die man nur bewaffnet bändigen kann. Steffls Bilder sind einprägsam, und sie erzählen auch unaufgeregt von der Unmöglichkeit der Utopie.
Wie eine Zustandsbeschreibung wirkt das 3-Kanal-Video „Naked Nation“, das nicht nur durch extreme Untersicht irritiert: Man schaut von unten auf lauter Nackerte, die unentwegt schwere Balken über einen scheinbar schmalen Grat tragen. Im Hintergrund rauscht der Lärm der Großstadt. Trotzdem liegt auch die Assoziation der christlichen Kreuztragung nahe.
Steffl übertreibt Leni Riefenstahls Helden-Perspektive – um zu erreichen, dass „das Heroische ins Groteske“ kippt. Ob das Leben an sich eine hundsmiserablige Plackerei ist oder man sich den spätmodernen Sisyphus als glücklichen Zeitgenossen vorstellen soll, lässt Steffl offen.
Roberta De Righi
Bis 10. Januar, Di – So jeweils 10 bis 18, Do bis 20 Uhr
- Themen:
- Pinakothek der Moderne