Auf der Kinobaustelle: Auftakt zu den Filmfestspielen von Venedig
Das 67. Filmfestival in Venedig ist heuer noch ein wenig chaotischer als gewöhnlich – aber die Stars kommen dennoch an den Lido
Wer in diesem Jahr vom Land her in Venedig einfährt, könnte meinen, das Oktoberfest hätte begonnen. Aber nicht der üblichen Tagestouristik-Massen wegen. Architekt Francesco Cocco hat von der modernen Gewerbe- und Großparkhaus-Insel Tronchetto bis zum Piazzale Roma, wo das autofreie Venedig beginnt, auf einer gewundenen Pfeilerkonstruktion eine führerlose Schwebebahn gebaut, die wie eine überdimensionierte Achterbahn-Raupe aussieht. Sie schaufelt jetzt bis zu 3000 Menschen pro Stunde übers Wasser in die Lagunenstadt. Über diese modernistische Neuerung sind die Diskussionen verstummt: Es gibt jetzt diese Hochbahn, und basta!
Eine weitere architektonische Diskussion ist aber noch voll im Gange, dabei war auch hier Basta-Politik geplant: Nur noch ein Jahr ist es bis zum 150. Jubiläum der Einigung Italiens. Dazu sollte der Lido den Anschluss an Cannes und Berlin halten. Denn dem ältesten Filmfestival der Welt fehlt – ausgerechnet in der alten Handelsmetropole Venedig – das, was die Bedeutung heute mehr bestimmt als das Interesse von Cineasten: ein Messeplatz für die internationale Filmwirtschaft.
Dazu soll der weißmarmorne, klassizistisch-faschistische Casino-Bau, der das Film-Festivalzentrum beherbergt, eine Messe- und Kongresshalle zur Seite bekommen: geplante Einweihung zur Biennale 2011. Aber bis jetzt ist nur ein riesiger Bauzaun vorhanden, der den ganzen Platz vor dem Casino verriegelt. Niemals wird dieser neue organisch-amöbenhaft geformte Palazzo del Cinema rechtzeitig fertig werden. Und so beginnt heute das 67. Filmfestival hier in Venedig – noch chaotischer als sonst – auf einer Großbaustelle.
Bisher sind nur Badegäste da
Selbst das gewaltige Belle-Epoque-Grand-Hotel des Bains, wo Thomas Manns „Tod in Venedig“ spielt und verfilmt wurde, ist wegen Generalsanierung geschlossen und kann also nicht traditionell die Jury unter ihrem diesjährigen Präsidenten Quentin Tarantino beherbergen. So konzentriert sich alles noch mehr auf den orientalischen Hotelpalast Excelsior, wo auch 1932 das Festival mit einer Terrassen-Filmaufführung begann. Natalie Portman und Vincent Cassel sind hier schon angekommen.
Am Strand erkennt man schon die Plexiglas-Pavillonaufbauten für das Eröffnungs-Galadinner für den Eröffnungsfilm des New Yorkers Darren Aronofsky: „Schwarzer Schwan“, in dem es um eine Intrige in einer Ballett-Compagnie gehen soll. Und weil am Beginn auch gleich „Machete“ des Splatter-Regisseurs und Tarantino-Freunds Robert Rodriguez gezeigt wird, werden auch seine Stars, Robert De Niro und Jessica Alba, hier aufkreuzen.
Bisher sind aber nur überwiegend venezianische Badegäste zu sehen, die die letzten Tage des Ferienmonats August genießen. Ja, auch ein paar deutsche Badeurlauber müssen da sein. Schließlich berichten die Lokalzeitungen groß, dass die neue Strand-Errungenschaft, die so genannten „Baywatch-Cani“, meist Labradors-Hunde oder Golden Retriever, gerade zwei deutsche Kinder vor dem Ertrinken gerettet haben.
Dennoch ist man am Lido schon voll auf die Filmereignisse eingestellt. Denn in der Eisdiele wird man nicht mit „Ciao“ verabschiedet, sondern mit „Boun’ Festivale“ – Ein gutes Festival!
Adrian Prechtel