Kritik

"Auf dem Weg": Großes Kinodrama in wunderschöner Landschaft

Denis Imbert orientiert sich in seinem neuen Film am dramatischen Leben des französischen Bestsellerautors Sylvain Tesson
Margret Köhler |
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Jean Dujardin spielt den Schriftsteller Pierre, der nach einem schrecklichen Unfall zurück ins Leben läuft.
Jean Dujardin spielt den Schriftsteller Pierre, der nach einem schrecklichen Unfall zurück ins Leben läuft. © Radar Films/La Production Dujardin/TF1 Studio/X Verleih

Es gibt viele Gründe, den Rucksack zu schultern und sich auf einen langen Marsch zu begeben. Der Reiseschriftsteller Sylvain Tesson hatte einen ganz besonderen: Ein Sturz - betrunken vom Hausdach - hatte ihn fast zum Krüppel gemacht. "Ich war auf acht Metern fünfzig Jahre gealtert", schreibt er lakonisch.

Und als ihn die Ärzte nach monatelangem Krankenhausaufenthalt fest verschraubt, mit lädiertem Auge, halbtaub und mit schiefem Gesicht in die Reha schicken wollen, beschließt der 1972 geborene Abenteurer, seine eigene Form der Rekonvaleszenz zu wagen: zu Fuß durch Frankreich, vom Mittelmeer bis zur Atlantikküste, möglichst abseits der Zivilisation, durch Gebiete, die in schöner Behördensprache als "Hyperruralité", also ländlich unterentwickelt, ausgewiesen sind.

In der Natur findet der Umtriebige wieder Ruhe 

Nun hat Denis Imbert Sylvain Tessons sehr persönlichen und intimen Reisebericht "Auf versunkenen Wegen" frei für die Leinwand adaptiert. Der französische Autor ("Der Schneeleopard") legte nach dem Sturz 1300 Kilometer in vier Monaten zurück. Oscarpreisträger Jean Dujardin ("The Artist") spielt dessen Alter Ego, den erfolgreichen Schriftsteller Pierre: ein Charmebolzen, Kettenraucher und gepflegter Trinker, Egomane und gern gesehener Gast auf Partys - bis zum buchstäblichen Absturz. 

Imbert erzählt die Geschichte eines Mannes, der die Zeit anhält und im Unterwegssein Ruhe und Rückbesinnung findet, auf drei Ebenen. Nicht nur von der Wanderung abseits ausgetretener Pfade, sondern auch von Pierres rauschhafter Vergangenheit als Womanizer, seine Erinnerungen an eine verlorene Liebe und das erzwungene Innehalten nach dem Unfall, die Konfrontation mit dem eigenen Tod.

Fast erkennt man ihn nicht mehr wieder: der virile Draufgänger im Adrenalinkick auf der Überholspur und Verführer holder Weiblichkeit hat kaum etwas zu tun mit dem besonnenen Menschen, der kein Glas Alkohol mehr anrührt oder in einer wunderbaren Szene in der Einöde einer jungen Frau ein Stück Käse abkauft, aber nicht auf deren erotischen Avancen reagiert, sondern seinen Weg weiter geht.

Jean Dujardin ist wie immer großartig 

Die beschwerliche Odyssee beginnt damit, dass Pierres Körper schon nach 17 Kilometern streikt. Doch er gibt nicht auf, erklimmt Berge, marschiert über Stock und Stein, durch Wald und Feld, trifft auf ein unbekanntes und von der Politik vergessenen Frankreich, wo es weder Arzt noch Apotheke gibt, eine dem Städter fremde und verlorene Welt.

Zufällige Begegnungen von Fremden lockern die Einsamkeit auf, oder für wenige Tage die Begleitung von Freunden. Die meiste Zeit ist er allein. Die Heilung von Körper und Seele ist am Ende nicht abgeschlossen, aber ein Neuanfang ist gemacht.

Dujardins Performance ist wie immer großartig und nach den majestätischen Landschaftsbildern kann man süchtig werden. Nicht vermissen möchte man die nicht immer ganz einfachen poetisch-philosophischen Texte von Tesson. Da grübelt man irgendwann über seine eigene Existenz nach, über Leistungszwang und Alltagstrott. Welcher Film schafft das schon?

R: Denis Imbert (F 93 Min.);
Kinos: ABC, City Atelier, Rio (OmU), Theatiner (OmU)

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